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    Provinzheld Avatar von Thara
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    Der Zirkel um Xardas im Forenrollenspiel
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    An anderer Stelle in den Katakomben

    Viel zu rasch wurde Thara schon wieder fast schwarz vor Augen und sie wäre um ein Haar über ihre eigenen Füße gestolpert. In ihrem geschwächten Zustand hatte selbst der kurze Sprint sie beinahe überanstrengt. Sie musste innehalten und sich gegen die Wand lehnen, warten, bis der Schwindel nachließ.
    In dem dunklen Gang hinter ihr krächzte und gurgelte ihr Verfolger, seine Füße schlurften über den Lehmboden. Er war noch ein Stück entfernt, aber er kam näher.
    Sie musste weiter…
    Am liebsten wäre sie wieder losgerannt, aber trotz des Grauens, das sie erfüllte, war sie dazu einfach nicht mehr in der Lage. Ihre Reserven waren aufgebraucht und Thara stellte sich vor, dass sie überhaupt nur noch deswegen funktionieren konnte, weil ihr Körper wahrscheinlich anfing, sich selbst zu verdauen. Ihr Magen krampfte sich zusammen vor Hunger und jede noch so kleine Bewegung kostete sie ungeheuer viel Kraft.
    Leise!, mahnte sie sich selbst, Du musst leise sein!
    Es war ihre einzige Chance. Sie konnte ihrem Verfolger vielleicht nicht davonrennen, aber er war blind. Wenn sie es schaffte, leise genug zu sein…
    Mit der Hand, in der sich nicht den viel zu schnell kleiner werdenden Kerzenstummel hielt, stützte sich Thara an der Wand ab und bewegte sich vorsichtig weiter. Sie versuchte, sie Geräusche des Monsters hinter sich zu ignorieren und sich ganz und gar auf ihre eignen Bewegungen zu konzentrieren, darauf selbst völlig geräuschlos zu sein. Sie setzte die Zehenspitzen zuerst auf und rollte den Fuß anschließend mit größter Vorsicht hab, wobei sie jedes Mal den Atem anhielt. Quälend langsam kam sie so voran…
    Aber es funktionierte! Als sie kurz innehielt und nach ihrem Verfolger lauschte, hörte sie ihn irgendwo hinter sich im Gang rumoren, aber es schien ihr, als wäre er ein wenig weiter weg als beim letzten Mal. Hatte er die Spur verloren? Stand er zuckend und ratlos auf der Stelle, wie zuvor in der Gefängniszelle, aus der sie geflohen war? Thara wagte, ein wenig Hoffnung zu schöpfen. Vielleicht… vielleicht würde sie es doch noch schaffen, diesem Albtraum zu entkommen!
    Falls es ihr gelang, einen Weg aus dem Labyrinth zu finden...

  2. Beiträge anzeigen #62 Zitieren
    Provinzheld Avatar von Thara
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    Der Zirkel um Xardas im Forenrollenspiel
    Thara ist offline
    Was ist das? Thara hob die Kerze, um die seltsamen Schriftzeichen zu begutachten, die links und rechts des Tores in die Wand gemeißelt waren. Obwohl sie nicht lesen konnte, war sie sich sicher, dass diese Zeichen nicht die geringste Ähnlichkeit hatten mit jenen, die sie in den Büchern der Bibliothek gesehen und die ihr Sinistro zum Lernen aufgezeichnet hatte. Dafür waren sie viel zu verschlungen und unregelmäßig, ja, sie hatte beinahe den Eindruck, dass sie sich vor ihren Augen veränderten, verschwammen und umsortierten, obwohl sie es nicht direkt sehen konnte – ein fremdartiges, sonderbares, falsches Gefühl, dass ihr Kopfschmerzen bereitete.
    Unsicher wandte sie sich um. Der Gang, dem sie gefolgt war, hatte sie geradewegs auf das Tor zugeführt. Keine Abzweigungen, keine Zellen links und rechts – nur ein schnurgerader Gang. Und irgendwo dort hinten wartete das Monster. Wenn sie sich anstrengte, konnte sie es noch immer hören, und sie war sich sicher, dass es näherkam – langsam, aber stetig. Ihr blieb eigentlich nur eine Option…

    Das Tor selbst bestand aus massivem Holz, war aber längst so weit verrottet, dass Thara sich ohne Probleme zwischen zwei verzogenen Balken hindurchzwängen konnte. Unter ihren Fingern gab das Material nach wie ein schleimiger Schwamm und verströmte dabei einen intensiven Pilzgeruch. Thara versuchte, nicht daran zu denken, was für eine Art von Pilz in dem nassen Holz wuchern mochte – die schwarzen Fasern hatten zuletzt die Wände und den Boden wie ein dicker Teppich fast vollständig bedeckt.
    Auf der anderen Seite des Tores blieb Thara stehen und leuchtete vorsichtig mit ihrer Kerze die Umgebung aus. Das spärliche Licht reichte bei weitem nicht, den ganzen Raum zu erhellen – es musste eine Halle sein. Die Ausmaße konnte Thara nicht abschätzen, um sich herum sah sie weder gegenüberliegende Wände, noch die Decke. Nur Dunkelheit.
    Nach wie vor war der Boden dick mit dem schwarzen Pilzgeflecht bedeckt und Thara versuchte, nicht auf das schleimige Gewebe zu treten, während sie sich langsam weiterbewegte, aber das war kaum noch möglich. Sie hatte ein mehr als nur unangenehmes Gefühl bei all dem und sah sich die ganze Zeit ängstlich um. Jede Sekunde rechnete sie damit, dass irgendetwas sie aus der Dunkelheit heraus anspringen würde. Sie musste an ihre Reise von Thorniara ins Kastell denken – auch damals hatte irgendetwas in der Finsternis gelauert und sie verfolgt, und Licht war ihre einzige Verteidigung gewesen. Licht, das nun auf die spärliche Flamme einer einzelnen Kerze reduziert war, die gnadenlos herunterbrannte…

    Ein Geräusch ließ Thara innehalten. Sie erstarrte geradezu zur Salzsäule, wagte nicht einmal mehr, zu atmen, und lauschte angestrengt in die Finsternis.
    Wartete.
    Lauschte…

    Nichts.
    Hatte sie sich geirrt? War sie vielleicht auf irgendetwas getreten und hatte das Geräusch dabei selbst verursacht? Oder spielten ihre überreizten Sinne ihr einfach schon Streiche und sie bildete sich ein, Dinge zu hören, die gar nicht da waren?
    Vorsichtig atmete sie wieder aus, sah sich noch einmal um und machte einen weiteren Schritt, und noch einen.
    Da war es wieder! Deutlicher jetzt – das war keine Einbildung gewesen! Irgendwo vor ihr – ein leises Gurgeln und Röcheln.
    Sie kannte dieses Geräusch mittlerweile. Eine eiterüberzogene Zunge in einem Mund voller fauliger Zahnstümpfe, eine verschleimte Lunge in einem dürren, mit Pilzmyzel durchzogenen Brustkorb…
    Thara ging in die Hocke, machte sich möglichst klein und sah sich panisch um. War der Pilzwirt ihr gefolgt? Aber warum hatte sie dann nicht gehört, wie er durch die Tür gekommen war? Das Monster bewegte sich nicht gerade subtil, sie hätte es bemerken müssen…
    Es sei denn – es war nicht das Einzige!
    Thara hätte beinahe loslachen wollen vor Verzweiflung. Natürlich war ihr Verfolger nicht der Einzige! Dieses Pilzgeflecht durchzog die ganze Ebene, natürlich gab es weitere Opfer! Wie viele? Ein paar? Dutzende? Hunderte vielleicht? Wie lange war dieser Pilz schon hier unten? Wer waren die Opfer? Wahrscheinlich würde sie es nie erfahren.
    Ich muss hier raus! – Das war alles, was zählte. Thara erhob sich und schlich mit äußerster Vorsicht weiter, wobei sie die Kerze ausgestreckt vor sich hielt.
    Nach wenigen Schritten schälte sich ein Umriss aus der Finsternis...

  3. Beiträge anzeigen #63 Zitieren
    Ranger Avatar von Arzu
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    Der Zirkel um Xardas im Forenrollenspiel
    Arzu ist offline
    Das Labyrinth der Gänge nahm noch immer kein Ende. Auch das Murmeln von Olivia war eine Konstante, wenngleich sie ab und zu eine kurze Pause einlegte. Die Varanterin vermutete, dass in jenen Pausen der imaginäre Gesprächspartner zu Wort kam. Zumindest kurz. Jedes Mal, wenn die andere Varanterin wieder anfing zu murmeln, zuckte Arzu augenblicklich zusammen. Obwohl sie genau wusste, woher das Geräusch kam. Normalerweise war sie doch nicht so schreckhaft; es musste an diesem vermaledeiten Ort liegen.
    Sie erreichten bald eine weitere Kreuzung. Dieses Mal ging es nur nach rechts und nach links. Unweigerlich stellte sich Arzu die Frage, ob sie den Rand des Kastells erreicht hatten. Neugierig sah sich die Schwarzmagierin um. Die Wände waren genauso schwarz wie bisher und vom gleichen bröckelnden Pilzrest überdeckt. An einer Stelle, an der das nackte Mauerwerk zu sehen war, klopfte Arzu gegen den Stein. Nichts! Es klang, wie eine Wand eben klang! Ein wenig blöd kam sich Arzu dennoch vor, etwas anderes erwartet zu haben. Zu ihrem Glück hatte Olivia gerade besseres zu tun, nämlich wieder einmal durch dieselben fünf Gegenstände in ihrer ekeligen Tasche zu kramen.
    Arzu hob die Hand in der sie ihren Schattenfraß beschworen hatte. Die langen Gänge regten zum Nachdenken an und so war sie zu der Entscheidung gekommen, dass Schattenlicht tatsächlich zu absurd klang. Noch schwankte Arzu, ob es Schattenfraß oder vielleicht auch Schattenfresser sein sollte. Zweifelsohne hätte sie hier unten genug Zeit, einen passablen Namen für den Zauber zu finden. Und an seiner Potenz zu arbeiten. Mehr als ein paar Schritt reichte seine Wirkung leider nicht. Zumindest war es genug, um zu erkennen, dass beide Richtungen des Ganges mehr oder weniger identisch waren.
    Als sich Arzu gerade in Bewegung setzte, durchzuckte ihren Schädel ein scharfer Schmerz. Es dauerte nur einen kurzen Moment und war dann wieder verschwunden. Zurück blieb eine Erkenntnis. Nicht länger war Arzu nur eine Schwarzmagierin, sondern eine hohe Schwarzmagierin! Wie schon beim letzten Mal stellten sich der Varanterin zwei Fragen. Wie bei Beliar brachte es das Kastell fertig ihr hier diese Entscheidung zu unterbreiten? Sie war doch nicht einmal im richtigen Kastell! Die andere Frage war, was denn eine hohe Schwarzmagierin von einer normalen unterschied? Viel magischer fühlte sie sich nämlich nicht! Ein Umstand an dem sie inzwischen auch ein wenig Sinistro die Schuld gab. Warum hatte er sich auch so bereitwillig in den Tod stürzen müssen?!
    Eine Antwort war aber gewiss. Nämlich, dass der linke Gang der richtige war!

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    Provinzheld Avatar von Thara
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    Thara ist offline
    Der Pilzwirt sah aus, als würde er im Stehen schlafen. Kerzengerade stand er da, nur sein Kopf, in dessen Gesicht dasselbe baumpilzartige Geflecht wucherte, war auf seine Brust gesunken. Ein dünner Speichelfaden hing von den blutleeren Lippen und manchmal zuckte er unmerklich. Myzel wuchs aus seinen Unterschenkeln und vereinte sich mit dem Geflecht auf dem Boden, so dass seine Füße nicht mehr zu sehen waren. Als ob er Wurzeln geschlagen hätte.
    Thara presste sich die Hand vor den Mund, aus Angst, irgendwelche Geräusche zu machen, die den Pilzwirt aufwecken könnten, und schlich sich lautlos an ihm vorbei. Als er den Kopf träge von links nach rechts bewegte und ein leises Seufzen ausstieß, gerade als sie direkt hinter ihm war, kniff Thara die Augen zusammen und duckte ich unwillkürlich. Aber der Pilzwirt blieb ruhig, er hatte sich wohl nur… im Schlaf bewegt?
    Schlief er wirklich? Wenn ja – träumte er? Und wenn er träumte, was träumte er? Thara graute schon allein vor der Vorstellung, wie es in dieser von einem erbarmungslosen Parasiten unterjochten Gedankenwelt wohl aussehen musste. Ob der Geist tot war, die Seele längst den Körper verlassen hatte und in Beliars Reich eingegangen war, auch wenn der Pilz den Körper noch am Leben hielt, um sich seiner zu bedienen? Das wäre wohl die gnädige Variante.
    Wenn die Seele jedoch noch in dieser erbarmungswürdigen Hülle gefangen war…
    Dann war das ein Schicksal, das schlimmer war als der Tod.

    Thara hatte den Pilzwirt gerade hinter sich gelassen, als im spärlichen Licht ihrer Kerze die Umrisse eines weiteren Körpers sichtbar wurden. Und eines dritten…
    Sie stockte und sah sich um. Da! Hinter ihr – noch einer!
    Oh bei Beliar…
    Sie waren überall! Irgendwie war Thara mitten hinein geraten zwischen dutzende, vielleicht sogar… hunderte dieser Dinger! Egal in welche Richtung sie sich wandte, überall entdeckte sie mindestens einen oder zwei der schlafenden Pilzwirte. Einige schienen auch tot zu sein, die Körper lagen auf dem Boden und waren so von Myzel überwuchert, dass man kaum noch das mumifizierte Fleisch unter dem schleimigen Geflecht sehen konnte und die Körperformen eher zu erahnen denn zu erkennen waren.
    So viele… Woher? Woher kamen sie alle? Wie gelangte der Pilz zu seinen Opfern? Wer waren sie? Fragen, von denen Thara nicht wusste, ob sie die Antwort wirklich wissen wollte.
    Mit äußerster Vorsicht schlich sie weiter, wobei sie versuchte, größtmöglichen Abstand zu den Wirtskörpern zu halten. Sie hatte längst keine Ahnung mehr, in welche Richtung sie ging und schalt sich innerlich dafür, so dumm gewesen zu sein, einfach in den Raum hineinzulaufen, statt sich vielleicht an der Wand zu halten, was sie unweigerlich zu einem Ausgang geführt hätte, wenn es denn einen gab – aber so weit hatte die Denkleistung ihres erschöpften und sowieso nicht sonderlich leistungsfähigen Gehirns mal wieder nicht gereicht. Manchmal fragte sich Thara, wie sie es bei ihrer Dummheit überhaupt schaffte, noch am Leben zu sein.
    Aber jetzt blieb ihr nichts anderes übrig, als weiterzugehen und zu hoffen, dass sie irgendwo einen Ausgang fand. Ohne, dass sie einen der Pilzwirte aufweckte.
    Und bevor ihre Kerze erlosch.

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    Ranger Avatar von Arzu
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    Arzu ist offline
    Es stand ohne jede Frage fest, dass sie sich verlaufen hatten. Wobei es in erster Linie Arzu anzulasten war, denn Olivia und ihr unsichtbarer Begleiter folgten der Schwarzmagierin lediglich durch die dunklen Gänge. Natürlich hatte die andere Varanterin überhaupt erst den Vorschlag gemacht, in die Katakomben zu gehen. Dennoch lag es an Arzu, sich darauf eingelassen zu haben. Was für eine Blamage! Die lange Reise von Ishtar bis zum Kastell und dann noch bis zum Mond, nur um sich schlussendlich zu verlaufen. Arzu schwor sich, lebend aus dieser Situation wieder herauszukommen. Auch wenn sie nicht den blassesten Schimmer hatte, wie sie das bewerkstelligen sollte.
    Während hinter ihr das unverständliche Murmeln ihrer Begleiterin weiterging, wägte Arzu an jeder Kreuzung neu ab, welche Abzweigung wohl die richtige war. Meistens entschied sie sich für links, obwohl es augenscheinlich keinen Unterschied zwischen den einzelnen Gängen gab. Die ausgedorrten Überreste des Pilzes bedeckten immer noch weite Teile des Mauerwerks. Sollte sich auf den darunterliegenden Steinen also ein Hinweis befinden, blieb er vor den Augen der Varanterin verborgen. Vielleicht hatten sie sogar schon Türen passiert, ohne es zu wissen. Dennoch scheute Arzu immer noch davor zurück, den Fungus zu berühren. Ihn mit ihrer Schattenflamme zu zerstören, hatte die Schwarzmagierin in Erwägung gezogen, es aber letzten Endes als nutzlose Verschwendung ihrer magischen Reserven verworfen. Die Gänge waren dafür viel zu weitläufig. Statt dessen fokussierte sich Arzu auf ihren Schattenfresser, um zumindest nicht komplett im Dunkel zu stehen.
    Nach einem halben Dutzend weiterer Kreuzungen fiel der Varanterin plötzlich die Stille auf. Olivia murmelte nicht ununterbrochen, aber regelmäßig genug, dass sich Arzu nicht ständig zu ihr umdrehen musste, um sicherzustellen, dass ihre Begleiterin noch da war. Als sich die Schwarzmagierin nun aber umdrehte, blickte sie in einen leeren Gang.
    »Olivia? Olivia!«, rief die Varanterin und hielt den Schattenfresser in die Höhe, um mehr erkennen zu können. Es kam jedoch keine Antwort. Ein flaues Gefühl machte sich in ihrer Magengegend breit und ein leichter Schwindel überkam die Schwarzmagierin. Ihre großen Augen stierten der Finsternis am andere Ende des Ganges entgegen, in der Hoffnung, dass Olivia murmelnd aus den Schatten trat.
    Nichts geschah. Arzu war gewiss kein Feigling, doch jetzt wo sie völlig allein in diesem Labyrinth stand, fühlte sie sich unglaublich verletzlich. Eine komplett absurde Angst, redete sich die Schwarzmagierin zu. Seit Olivia und sie in die Katakomben hinabgestiegen waren, hatte nichts und niemand ihren Weg gekreuzt. Nicht einmal Ratten oder Spinnen. Wovor fürchtete sie sich also? Arzu nahm ihren Mut zusammen und ging den Gang zurück. Ihre Schritte wurden schneller und immer schneller, bis sie schließlich rannte.
    Die letzten Abzweigungen hatte sie noch gut im Gedächtnis. Wenn Olivia einfach nur stehengeblieben war, dann würde sie sie finden. Bald schon erreichte Arzu allerdings eine Kreuzung bei der sie sich nicht mehr so sicher war. Auf dem Hinweg hatte sie gewiss den linken Weg gewählt. Doch etwas zog sie statt dessen zur gegenüberliegenden Abzweigung. Was sollte schon passieren? Sie konnte dem Weg ja ein Stück weit folgen und dann zurückkehren. Genau das tat Arzu schließlich auch.
    Zu ihrem Erstaunen zog sich dieser eine Gang viel länger, als alle anderen Gänge, die sie bisher betreten hatte. Als ob er von einem Ende des Kastells geradewegs zum anderen führte. Ununterbrochen, ohne eine einzige Kreuzung. Arzu rannte so lange sie konnte, bis ihr schließlich der Atem ausging. Es ergab überhaupt keinen Sinn. Sie war felsenfest davon überzeugt, dass das Kastell niemals so groß sein konnte. Führten die Gänge vielleicht aus dem Kastell heraus? Unweigerlich musste die Varanterin an den Turm denken, in dem Thara und sie zuerst auf Olivia getroffen waren. Der Turm lag weit entfernt vom eigentlichen Kastell, obwohl Arzu genau wusste, dass sie zusammengehörten. Gab es womöglich zwischen diesen entfernten Orten ein Netz von unterirdischen Gängen? Arzu wusste es nicht.
    Ein Geräusch weiter entlang des Weges zog dann die Aufmerksamkeit der Varanterin auf sich. Es hörte sich ein wenig nach Murmeln an. Konnte das Olivia sein? Arzu biss die Zähne zusammen und setze sich wieder in Bewegung. Es musste einfach Olivia sein.
    Solange es ihre Ausdauer erlaubte, lief die Schwarzmagierin schnellen Schrittes den Gang entlang. Ab und an stoppte sie, um nach dem Geräusch zu lauschen. Es wurde nicht merklich lauter, was Arzu vermuten ließ, dass die Quelle sich von ihr fortbewegte. Gleichzeitig schien es auch immer dann innezuhalten, wenn die Schwarzmagierin anhielt. Kurz ging ihr durch den Kopf, dass sie womöglich dem Echo ihrer eigenen Schritte folgte. Doch das Geräusch blieb hörbar, wenn sie sich nicht bewegte. Noch einmal sprintete Arzu los. Dieses Mal fest entschlossen, das Geräusch einzuholen. Ihre Lungen brannten bald und genauso ihre Beine. Zuletzt war sie so schnell gelaufen, als sie Yarik im Stich gelassen hatte.
    Den Schattenfresser konnte sie indes kaum noch aufrechterhalten, zu groß war die Anstrengung. Ein Glück im Unglück, wie sich herausstellte. Denn erst durch das Versiegen ihres Zaubers, erkannte Arzu in der Entfernung ein fahles Schimmern. Sie löschte ihren Schattenfresser und versuchte noch ein letztes Mal ein wenig schneller zu rennen. Ihr Keuchen und ihr Herzschlag übertönten längst das Geräusch in der Ferne. Gleichgültig! Jetzt galt es nur noch das Etwas dort einzuholen. Ohne sich dessen bewusst geworden zu sein, hatte Arzu ihre Angst hinter sich gelassen. Ihre Neugierde hatte die Oberhand gewonnen.
    Unerwartet wanderte das fahle Schimmern zur Seite ab und verschwand. Der Gang muss dort zu Ende sein, schoss der Varanterin durch den Kopf. Ihr Tempo verlangsamte sich unweigerlich, da ihre Ausdauer nun vollends versagte. Zumindest hatte sie jetzt die nächste Kreuzung im Blick. Schwer atmend näherte sich die Schwarzmagierin der Ecke und vernahm wieder das seltsame Geräusch. Dieses Mal deutlich hörbar. Es klang wie ein verzerrtes Flüstern ineinander verwobener Stimmen. Eine Ahnung kam in Arzu hoch, dass sie hier nicht Olivia auf der Spur war.
    Mit aller nur denkbaren Vorsicht lugte die Schwarzmagierin um die Ecke und erstarrte. Das fahle Schimmern befand sich nur einen Steinwurf von ihr entfernt und erleuchtete eine massive Gestalt in der Mitte des Ganges. Wie gebannt starrte Arzu zu dem Wesen herüber. Es war gewiss mehr als doppelt so groß wie die Schwarzmagierin, mit einem hohen Buckel und gehüllt in einer Art von zerfetztem Mantel. Statt Beinen besaß die Kreatur mehrere, sich windende Tentakeln, die unter dem Mantel hervortraten. Doch es berührte den Boden nicht. Statt dessen schwebte es majestätisch über dem Grund. Ein Dämon, dachte Arzu.
    Sie hatte natürlich in der Bibliothek von den Dämonen des Kastells gelesen und sogar Illustrationen von ihnen gesehen. Doch wollte das Bild nicht zu diesem Wesen passen. Vor allem flüsterten Dämonen nicht. Dann fiel der Varanterin eine weitere Gestalt auf, die am Boden vor der Kreatur lag. Das fahle Schimmern, welches von dem schwebenden Ding ausging, erhellte die Umgebung gerade genug, um einige Details des anderen Körpers auszumachen. Es sah auf den ersten Blick nach einem Menschen aus. Jedoch war er übersät von seltsamen Auswüchsen. Arzu kniff die Augen zusammen, um erkennen zu können, was es tatsächlich war. Pilze! Die Pilze, die die Wände bedeckten, hatten Besitz von dem Körper ergriffen. Bei dem Gedanken lief es der Schwarzmagierin kalt den Rücken herunter.
    Sie beobachtete, wie das unbekannte Wesen sich dem Körper näherte und sich dann herunterbeugte. Lange, ausgezehrte Arme kamen unter dem Mantel hervor. Drei Stück an der Zahl und sie griffen nach dem menschlichen Überresten. Was genau die Kreatur dort anstellte, konnte Arzu nicht erkennen. Der massige Körper versperrte ihr die Sicht. Doch es hörte sich danach an, als ob es etwas abbrechen oder abreißen würde. Zuletzt schwebte die Gestalt wieder höher. Einer der unteren Arme vollführte eine Bewegung über dem Körper am Boden, der sich darauf hin zu Staub zersetzte.
    So gebannt war Arzu von dem Schauspiel, dass sie nicht einmal bemerkt hatte, wie sie unbewusst einen Schritt in den Gang gemacht hatte. Nun drehte sich das schwebende Geschöpf herum und war von Angesicht zu Angesicht mit der Schwarzmagierin. Drei fahl schimmernde Augen blickten Arzu von einem Kopf entgegen, der einem Kraken glich. Um den Schädel wanden sich etliche Tentakeln und das Gesicht besaß keinerlei menschliche Züge. Das verzerrte Flüstern ineinander vermengter Stimmen stammte eindeutig von dem Krakenkopf, auch wenn er keinen sichtbaren Mund zu besitzen schien.
    Innerlich bereitete sich die Schwarzmagierin auf ihren bevorstehenden Tod durch die Kreatur vor. Doch nichts geschah. Der Krakenkopf schwebte vor ihr im Gang ohne Anstalten zu machen, ihr etwas anzutun. Als sich das Wesen schließlich in Bewegung setzte, wandelte es an Arzu vorbei. Einige der langen Tentakeln reckten sich der Schwarzmagierin dabei entgegen und glitten über ihren Körper. Ein unbeschreibliches Gefühl überkam sie und ließ die Varanterin wie angewurzelt stehen. Sie konnte nur dabei zugucken, wie die Kreatur geradewegs durch die nächste Wand glitt und verschwand.
    Es dauerte einige Augenblicke, bevor Arzu ihre Starre überwand. Vom Krakenkopf war indes nichts mehr zu sehen. Die Wand, durch die das Wesen geglitten war, sah massiv aus. Mit dem Fuß trat die Varanterin prüfend gegen das Mauerwerk. Dort war kein Durchkommen. Wie konnte das sein? Der Krakenkopf hatte sie eindeutig berührt und besaß damit offensichtlich einen realen Körper. Die Schwarzmagierin beschwor wieder ihren Schattenfresser und untersuchte die Wand auf Ritzen oder Fugen, die auf eine geheime Tür hindeuteten. Eine vergebliche Suche. Hier saß Stein an Stein. So wandte sie sich dann der Stelle zu, wo zuvor der menschliche Körper am Boden gelegen hatte. Vom Körper selbst gab es keine Spur mehr. Was auch immer der Krakenkopf damit angestellt hatte, war gründlich gewesen. Als sie den Gang entlang blickte, fiel Arzu ein kurioses Detail auf. Einige Schritt weiter stoppte das verdorrte Pilzgeflecht an den Wänden. Statt dessen wuchs der Fungus dort wieder mit aller Kraft. Ob das auch mit dem Krakenkopf zu tun hatte?

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    Burgherrin Avatar von Olivia Rabenweil
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    Olivia Rabenweil ist offline
    Mit den Einflüsterungen ihres Freundes im Ohr war Olivia Arzu irgendwann nur noch stumm gefolgt. Ab und zu versuchte sie mit entschlossenen Worten den seinen zu widersprechen. Erfolglos. Das Wispern und Flüstern, welches durch diesen Teil der Katakomben schlich, vermochte es schlussendlich. Olivia verbrachte viel Zeit damit die Schatten in der Luft vor ihr zu betrachten. Die Kälte in ihrem Inneren breitete sich aus und führte seit einer Ewigkeit zu einer echten Regung in ihr. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Hier unten wohnte das Böse.
    Es war ihr Vorschlag gewesen, die Treppe hinab zu nehmen. Doch war es klug gewesen?
    Olivia musste Arzu aufhalten. Hätte sie zum Umkehren überreden müssen, doch die kalte Zunge klebte wie an ihrem ausgedörrten Gaumen.
    Die Sinne schwanden ihr. Der Blick wurde trüb.
    Arzu war verschwunden. Sie wandelte eben noch vor ihr, nun stand sie in der Dunkelheit, die sie zu erdrücken drohte.
    Die Knie wurden ihr weich und ihr Körper drohte zusammenzusacken, doch glücklicherweise musste sich nun selbst nicht mehr darum kümmern.
    Drei Hände griffen aus der Finsternis nach ihr und rissen sie in das Vergessen. Olivia zucke unkontrolliert, während sie durch Zeit und Raum gezogen wurde.
    Schließlich, als die fremde, schleimige Kälte in ihren Kopf griff, begann sie zu Schreinen.
    Ein unmenschlicher Laut entsprang ihrer Kehle du hallte durch das leere Gemäuer.

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    Provinzheld Avatar von Thara
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    Thara ist offline

    In einem Saal tief in den pilzverseuchten Katakomben

    War das der Ursprung von allem?
    Thara hob ihre Kerze, aber das spärliche Licht der kleinen Flamme reichte nicht einmal annähernd aus, um das Gebilde vor ihr in seiner ganzen Größe zu erfassen. Ein Berg aus schleimigem Myzel, die Oberfläche ein dichtes Netz aus Pilzfäden, dazwischen hier und da ein totes Gesicht, eine klauenartig verkrümmte Hand oder ein halbverrotteter Fuß. Das Konglomerat türmte sich wahrscheinlich bis zur Decke, die Thara in der Dunkelheit nicht sehen konnte, und pulsierte rhythmisch, wie ein gewaltiges Herz. Und da war noch etwas – eine unheimliche Macht ging von dem Gebilde aus, eine Kraft, die Thara einen kalten Schauer den Rücken herunterlaufen ließ.
    „Was bist du?“, flüsterte sie und wäre nicht einmal überrascht gewesen, wenn der Pilz ihr geantwortet hätte. Was auch immer er war, natürlich war er nicht. War er eine Kreatur Beliars, eine Art von Dämon? Ein Bewohner der Unterwelt, der es irgendwie geschafft hatte, auszubrechen? Oder war er etwas… völlig anderes?
    Heißes Wachs tropfte ihr auf den Daumen und erinnerte Thara daran, dass sie nicht mehr viel Zeit hatte. Ihre Kerze war beinahe heruntergebrannt. Wenn sie es nicht schaffte, einen Ausweg zu finden, bevor die Flamme endgültig erlosch…
    Vorsichtig schlich sie sich weiter zwischen den schlafenden Pilzwirten hindurch, fort von dem pulsierenden Zentrum des Geflechts. Jeder Schritt war eine Herausforderung – sie musste die Balance behalten, obwohl ihre Muskeln vor Erschöpfung kaum noch gehorchen wollten. Ein Fehltritt, ein Straucheln, und sie weckte vielleicht diese Dinger auf, und dann…

    Plötzlich ertönte ein Geräusch irgendwo hinter ihr. Thara erstarrte. Etwas krachte und quietschte, das Bersten morschen Holzes und das Kreischen rostigen Metalls, das über Stein schabte. Ein Gurgeln und Röcheln.
    Ihr Verfolger…
    Er musste das Tor erreicht haben und bahnte sich jetzt seinen Weg in die Halle! Wie konnte das sein? Hatte er sie hören können, trotz allem? Oder war es reiner Zufall und er war ziellos den Gang entlanggewandert, bis er das morsche Tor erreicht hatte?
    Ein weiteres Knirschen. Etwas fiel zu Boden. Schlurfende Schritte.
    Und dann kam Bewegung in die Bewohner der Halle.
    Erst sah Thara einen der Pilzwirte, wie er geradezu hochschreckte, den Kopf in den Nacken legte, als wolle er einen Schrei ausstoßen, ohne dass aber ein Geräusch seine Kehle verließ. Dann hob er erst einen Fuß, befreite sich mit einem Ruck von dem Myzel, das ihn festhielt, dann den anderen. Er stolperte unbeholfen einen Schritt nach vorn, stieß dabei mit seinem Nachbarn zusammen. Weckte ihn auf…
    Es war eine Kettenreaktion. Einer nach dem anderen erwachten die Pilzwirte aus ihrem Schlaf, wenn sie gegeneinanderstießen. Mehr und mehr von ihnen begannen, mit staksenden, ungelenken Schritten durch die Halle zu torkeln. Sie schienen zu lauschen und zu tasten, gruben sich die abgebrochenen Fingernägel gegenseitig ins Fleisch, wenn sie mit ihren Klauenhänden einfach um sich schlugen auf der Suche nach Beute.
    Thara duckte sich und beschleunigte ihre Schritte, wobei sie flach durch den Mund atmete in der Hoffnung, dadurch noch leiser zu sein. Zuerst hoffte sie noch, den erwachenden Pilzwirten entkommen zu können, aber diese Hoffnung erwies sich bald als Illusion – die Kreaturen erwachten in immer kürzeren Abständen, und je mehr von ihnen aktiv waren, um so rascher rissen sie weitere Pilzwirte aus ihrem Schlummer. Thara konnte ihnen nicht davonlaufen – es dauerte nicht lange, bis kaum eines der Monster um sie herum noch schlief…

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    Provinzheld Avatar von Thara
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    Thara ist offline
    Thara kämpfte mit aller Macht gegen die aufsteigende Panik an, als sie sich zwischen den zuckenden, torkelnden, um sich schlagenden Wirtskörpern hindurchschlängelte und dabei hoffte, um alles in der Welt bloß unbemerkt zu bleiben! Wenn sie die Orientierung nicht schon lange zuvor verloren hätte, dann wäre dies spätestens jetzt ohnehin der Fall gewesen. Sie konnte nur noch reagieren – immer wieder schlurfte ihr einer der Pilzwirte in den Weg und sie war gezwungen, die Richtung zu wechseln oder mit äußerster Vorsicht an der Kreatur vorbeizuhuschen. Die ganze Halle war erfüllt vom Würgen, Krächzen und Röcheln der Monster, vom Geräusch ihrer schleppenden Schritte, dem Reißen des glitschigen Myzels unter ihren Füßen…
    Geduckt schlich Thara weiter und hielt dabei schützend eine Hand vor die Kerzenflamme. Ein Schmatzen links von ihr – instinktiv wich sie nach rechts aus. Ein Gurgeln vor ihr ließ sie wieder nach links hasten… und um ein Haar wäre sie mit einer der Kreaturen zusammengestoßen, die plötzlich aus der Dunkelheit vor ihr auftauchte! Thara erstarrte und hielt instinktiv den Atem an. Der Pilzwirt blieb stehen. Sein Kopf ruckte hin und her und er sog die Luft ein, als würde er schnüffeln.
    Kann er mich riechen? Was, wenn er mich riechen kann? Tharas Herz hämmerte so laut in ihrem Brustkorb, dass sie glaubte, die ganze Halle müsste sie hören können, und sie biss sich in die Hand, um nicht vor Angst zu schreien. Der Pilzwirt stand kaum eine halbe Armeslänge vor ihr. Wenn er nur einen einzigen Schritt nach vorn machte… nur eine einzige zufällige Bewegung…
    Er beugte sich nach vorn und knurrte. Es klang, als entspränge das Geräusch der Kehle eines Ertrinkenden, und schleimiger Speichel tropfte aus seinem Mund auf Tharas Unterarm, warum und klebrig. Er schnüffelte wieder. Eine seiner Klauen zuckte nach vorn, zerschnitt die Luft nur wenige Fingerbreit über Tharas Kopf.
    Und dann sah er sie an. Seine Augen – er hatte Augen!
    Er war gar kein Opfer des Pilzes…
    Tharas Beine gaben nach, als sie sah, wer da vor ihr stand, und sie brach mit einem leisen Wimmern zusammen. Die schmalen Lippen des Mannes vor ihr verzogen sich zu seinem Grinsen, hinter dem seine großen, gelben Zähne zum Vorschein kamen. Der Gestank von billigem Schnaps und saurem Bier wusch über Thara hinweg, als er sich langsam zu ihr hinunterbeugte und ihr seinen Atem ins Gesicht hauchte.
    „Na, Kleines?“, fragte er lächelnd. Seine Stimme war rau wie ein Reibeisen. „Hast du mich vermisst?“
    Thara krümmte sich zusammen und schüttelte den Kopf. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    „Nein…“, flüsterte sie, „Nein… nein! Geh weg! G-geh weg!“
    Er hob die Augenbrauen und zog mit gespielter Enttäuschung die Mundwinkel nach unten.
    „Aber, aber! Begrüßt man so etwa seinen Papa?“
    Thara brachte nur noch ein verzweifeltes Schluchzen hervor. Sie wusste nicht, wie es sein konnte, dass plötzlich ihr Vater vor ihr stand, aber sie wusste, was es bedeutete. Sie hatte geglaubt, sie wäre ihm entkommen, aber er war wiedergekommen und hatte sie eingeholt, hier in der Finsternis dieses trostlosen, albtraumhaften Ortes. Er würde sie mit sich nehmen, und dann würde er sie nie wieder gehen lassen...
    Abgesplitterte Fingernägel bohrten sich in ihre Kopfhaut, rissen an ihren Haaren, und ihr Vater gab ein unmenschliches Gurgeln von sich. Thara schrie auf und schlug blindlings um sich, griff nach seinem Handgelenk und befreite sich aus seinem erstaunlich schwächlichen Griff. Taumelnd kam sie auf die Füße und rannte blindlings in die Dunkelheit.
    „Hey, wo willst du hin?“, rief ihr Vater ihr nach.
    „Dabei haben wir uns so lange nicht gesehen!“, tadelte er sie, als sie fast gegen ihn gelaufen wäre. Er machte einen wackeligen Schritt auf sie zu, sein Kopf zuckte hin und her und er grinste lüstern. Thara wäre fast ausgerutscht, als sie zur Seite auswich, nur um erneu ihrem Vater gegenüberzustehen, der die Arme nach ihr ausstreckte.
    „Wir haben uns doch so viel zu geben…“, schnarrte ihr Vater vor ihr.
    „Du weißt doch, nur wir beide!“, raunte ihr Vater hinter ihr.
    „Ich will dir doch nicht wehtun, aber was soll ich tun, wenn du einfach nicht verstehen willst?“, schimpfte ihr Vater neben ihr.
    Er war überall. Egal wohin sie sich wandte, ihr Vater wartete bereits auf sie. Aus allen Richtungen kam er auf sie zu, so betrunken von dem billigen Fusel, für den er den größten Teil seines mageren Tageslohnes verschwendete, dass er kaum noch geradeaus laufen konnte, mit diesem Lächeln im Gesicht, diesem falschen Lächeln, das Wärme ausstrahlen sollte, und doch nur unsagbare Erniedrigung und Schmerzen bedeutete.
    „Du bist doch meine Tochter“, krächzte er, „Und ich liebe dich!“
    „… meine Tochter …“
    „… mein …“
    „… liebe dich …“

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    Seine Hände griffen nach ihr, rissen an ihren Haaren, ihrer Kleidung. Thara schrie und wand sich, schlug nach ihm, tauchte unter seinen ungelenk grabschenden Fingern hindurch und stolperte fort, nur fort, aber er war überall. Sie achtete kaum auf das bedrohliche Flackern ihrer Kerze, deren Licht kurz davor war, zu erlöschen. Ihr Blick war von Tränen verschleiert und in ihrer Panik reagierte sie nur noch instinktiv. Eine Klaue hinterließ einen blutigen Kratzer auf ihrer Wange, eine andere bohrte sich schmerzhaft in ihre Schulter, bis sie sich losreißen konnte. Sie stolperte weiter, jeder Gedanke an Heimlichkeit vergessen.
    „Ich Honig für dich!“, lockte sie ihr Vater irgendwo hinter ihr, „Süßes für mein süßes Mädchen!“
    „Wohin willst du schon laufen?“, spottete er aus einer anderen Richtung, „Wer, glaubst du, wird sich mit dir abgeben? Sieh dich doch an! Du taugst zu gar nichts!“
    „Du gehörst miiiir…!“, schnarrte er, und seine Hand schloss sich um Tharas Knöchel, brachte sie aus dem Gleichgewicht, so dass sie der Länge nach zu Boden stürzte…
    Womit er ihr das Leben rettete.
    Wie durch ein Wunder war die Kerze in Tharas Hand bei dem Sturz nicht erloschen, aber ihre Arme hingen in der Luft – vor ihr tat sich ein Abgrund auf, dessen Boden sie nicht ausmachen konnte. Die Katakomben reichten noch tiefer ins Erdreich, und hier war der Fußboden eingebrochen. Hätte ihr Vater sie nicht zu Fall gebracht, wäre Thara blindlings in den Durchbruch gestolpert.
    „Meine Tochter… mein Mädchen!“, gurgelte ihr Vater. Seine widerlich kalten, glitschigen Finger krochen ihr Bein hoch und seine schleimige Zunge fuhr über ihren Unterschenkel. Thara trat panisch nach hinten aus, sie spürte, wie irgendetwas weiches, schwammartiges unter ihren Fersen zerplatzte, aber er ließ nicht locker. Er grinste sie an und fuhr damit fort, ihr Bein abzulecken. Es sah aus, als wollte er zubeißen, aber es fühlte sich an, als ob er keine Zähne mehr hätte, nur eitriges Zahnfleisch, das über ihre Haut glitt, während er sich mit seinen blutleeren Lippen daran festsaugte.
    „Lass mich!“, wimmerte Thara, „Lass mich gehen! Bitte!“ Aber sie wusste, dass ihr Flehen umsonst war. Das war es immer. Seine scharfkantigen Fingernägel gruben sich ins Fleisch ihres Oberschenkels und er zog sich weiter auf sie. Er stank nach Alkohol und Verwesung, nach Eiter und Exkrementen, sein Körper war heiß und kalt zugleich. Thara schlug auf ihn ein, ohne Effekt. Sein Gesicht kam dem ihren immer näher, seine wässrig blauen Augen glänzten fiebrig und lüstern und voller Freude an ihrer Verzweiflung und ihren hilflosen Versuchen, sich zu wehren. Er lachte glucksend. „Mein Mädchen… mein–“
    Thara gelang rammte ihm mit aller Kraft, die sie noch aufbringen konnte, ein Knie in die Seite und stieß ihn zugleich von sich.
    Er ist so leicht…!, dachte sie überrascht, als es tatsächlich funktionierte: Es gelang ihr, ihren Vater abzuwerfen und sich aus seinem Griff zu befreien. Einen Moment lang schien ihr, als wäre er gar nicht ihr Vater, sein Kopf sah missgestaltet aus, als würde etwas dort wuchern, wo eigentlich sein Gesicht war, aber dann blinzelte er sie wieder an, voller Überraschung und Wut. Er knurrte und bleckte die Zähne.
    Mein Mädchen!“, konstatierte er zornig und griff wieder nach ihr. Thara schlug seine Hand zur Seite und kroch fort von ihm.
    „Ich habe Honig mitgebracht!“, säuselte er plötzlich aus einer anderen Richtung. Thara rollte sich herum und sah, wie er aus der Dunkelheit auf sie zu gestakst kam, sein Körper so dünn und abgemagert, dass er kaum noch mehr war als ein mit schwarzgeäderter Haut überspanntes Skelett, aber dieses Grinsen, dieses hämische, lüsterne Grinsen, mit dem er auf sie herabblickte…
    Sie schüttelte vehement den Kopf. Kein Honig! Ich will keinen Honig! Als ob ihn das jemals interessiert hätte. Panisch sah sie sich um, suchte nach einem Ausweg, während ihr Vater näherkam – ihre Väter, blasse Gestalten, die sich aus der Dunkelheit schälten, alle mit demselben Gesicht, demselben Grinsen, demselben Blick. Sie hatten sie eingekreist. Kein Weg zurück.
    Und vor ihr war nur der Abgrund. Thara starrte in die bodenlose Schwärze. Was mochte dort unten wohl sein? Ein schneller Tod? Ein Sturz, Sekunden der Schwerelosigkeit, dann ein harter Aufprall, der alles beendete?
    „Bitte…“, flehte sie, „Lass es e-einfach vorbei sein!“ Und zog sich über die Kante.

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    Aber es war nicht vorbei.
    Sie fiel kaum einen oder zwei Schritte tief, bevor sie auf einem hölzernen Untergrund landete. Der Aufprall presste ihr kurzzeitig die Luft aus den Lungen, aber sonst nichts. Nur ihre Kerze erlosch – völlige Dunkelheit umhüllte Thara und nur noch ihr Gehör verriet ihr, wie ihre Väter über ihr herumschlurften, scharrten, röchelten und nach ihr riefen.
    „Du bist meine Tochter!“ – „Du gehörst mir! MIR!“ – „Ich werde dich nicht gehen lassen!“ – „Niemals werde ich dich gehen lassen!“ – „Ich liebe dich doch, meine Kleine!“ – „Ich liebe dich…“
    Thara rollte sich zusammen und presste die Hände auf die Ohren, aber es brachte nichts. Sie hörte seien Stimme … ihre Stimmen? … ebenso laut wie zuvor, als würden sie direkt in ihren Kopf sprechen.
    „Du bist mein!“, röchelte einer ihrer Väter, „Du bist meine Tochter, du gehörst mir!“
    Plötzlich traf irgendetwas dumpf neben Thara auf. Sie schreckte hoch, konnte aber in der Dunkelheit natürlich nichts erkennen. Das Ding gurgelte und krächzte, wobei es sich jedoch schnell von ihr entfernte. Ein paar Augenblicke später hörte sie einen ekelhaft feucht klingenden Aufprall irgendwo tief unter sich.
    Es dauerte eine Weile, bis Thara sich einen Reim darauf machen konnte, was gerade geschehen war: Ihr … Vater … einer ihrer Väter? … war es wirklich ihr Vater gewesen? … war ihr über die Kante gefolgt, dann aber noch ein gutes Stück tiefer gestürzt und irgendwo weit unter ihr auf Fels oder Gestein aufgeschlagen.
    Vorsichtig begann sie damit, den Boden abzutasten. Sie saß auf einer morschen Holzkonstruktion – die Bretter waren mit Wasser vollgesogen und fühlten sich an wie Schwamm, strenger Modergeruch ging von ihnen aus. Und nicht weit von der Stelle, an der sie kauerte, fand Thara die Bruchkante. Bei dem Zustand, in dem das alte Holz sein musste, wunderte sie sich, dass es überhaupt noch hielt.
    Aber, was brachte ihr das schon? Außer, dass es ihr Ende noch ein wenig länger hinauszögerte? Sie legte sich hin, zog die Knie eng an ihre Brust und schloss die Augen. Hinter sich hörte Thara noch immer die schlurfenden Schritte, das Krächzen und Gurgeln der Bewohner dieser verfluchten Hallen. Es gab keine Richtung mehr, in die sie gehen konnte. Hinter ihr die Monster, vor ihr der Abgrund, und überall um sie herum die vollkommene Finsternis. Das war es also - das Ende ihres Weges.
    Fast schon spielerisch fuhr sie mit den Fingern über die zersplitterten Ränder der Bruchkante. Es verlieh ihr eine gewisse Ruhe, zu wissen, dass sie nicht auf ihren Tod warten musste, wenn sie nicht wollte. Sie konnte sich jederzeit mit einer einfachen Bewegung über die Kante rollen und alles wäre vorbei. Es war ihre Entscheidung…

    „Warum?“
    Die einfache Frage war an den Herrn der Dunkelheit gerichtet, an Beliar. Thara hatte geglaubt, er wäre anders als die anderen Götter, die ihr immer nur den Rücken zugekehrt hatten, die blind für ihr Leid waren und taub für ihr Flehen. Hatte Beliar ihr nicht einen Ausweg aus ihrer Lage gezeigt, ihr geholfen, sich von ihrem Vater zu befreien und später von ihrem Ziehvater, hatte er sie nicht zu seinem Tempel geführt, zum Kastell, und sie bei sich aufgenommen? Was hatte sie sich zu Schulden kommen lassen, dass er sie jetzt im Stich ließ, allein in der Finsternis? Was hatte sie getan, dass sie dieses Los verdient hatte? Sie war entschlossen gewesen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um sich der Gnade ihres Gottes würdig zu erweisen, und sie hatte sich bemüht, hatte alles gegeben. War es zu wenig gewesen?
    Vielleicht, ja … wahrscheinlich sogar … Wer war sie schließlich? Hatte sie wirklich geglaubt, sie, ausgerechnet sie könnte den Ansprüchen des Herrn der Unterwelt gerecht werden? Wie anmaßend, wie naiv von ihr! Natürlich war sie zu schwach dafür, zu dumm, zu ungeschickt. Sie hatte Sinistros Ende zu verantworten, den Tod eines mächtigen und treu ergebenen Priesters Beliars, sie hatte Olivia aus den Augen verloren und Arzu im Stich gelassen, die sicherlich beide viel besser dazu geeignet gewesen wären, den Ansprüchen ihres Gottes zu genügen. Ihre Anwesenheit hatte denen um sie herum nichts als Unglück gebracht. Also überließ Beliar sie in der Dunkelheit ihrem Schicksal. Sie war seiner nicht würdig.

    „Es tut mir leid…“, flüsterte Thara ihr ewiges Mantra. Sie dachte an Arzu. Ob die Varanterin einen Weg gefunden hatte, zu entkommen? Sie musste einfach! Arzu war so viel schlauer und stärker als sie selbst, und Beliar würde ihr bestimmt beistehen! Thara musste einfach daran glauben, dass sie es schaffte. Es war schon schlimm genug, Arzu im Stich gelassen zu haben. Tharas Augen füllten sich mit Tränen. Was würde sie nicht dafür geben, bei ihr zu sein… Noch einmal in diese wunderschönen dunklen Augen zu blicken. Ihr Lachen zu hören. Ihre Wärme zu spüren… Stattdessen würde sie ihre letzten Augenblicke in Kälte und Einsamkeit verbringen. Wie die meiste Zeit ihres Lebens.
    Nicht mehr länger…
    Es war genug. Sie wollte nicht mehr warten. Hinter ihr die Monstrositäten, vor ihr der Abgrund, um sie herum die Dunkelheit. Kein Ausweg, keine Hoffnung mehr. Ihr blieb nun nichts mehr, als es zu beenden. Es war das letzte Bisschen an Selbstbestimmung, das ihr blieb, und sie würde es sich nicht nehmen lassen.
    Mühsam zog sich Thara zum Rand der Plattform, die ihren ersten Versuch, sich in die Tiefe zu stürzen, vereitelt hatte. Kühle Luft wehte ihr von unten entgegen, Luft, die nach nassem Gestein roch. Der Hauch der Tiefe. Diesmal würde der Fall länger dauern, und am Ende würde das ewige Vergessen stehen.
    Ihre Finger schlossen sich um die Kante…

    Was ist das?
    Verwundert tastete Thara nach dem, worauf sie mit der rechten Hand gestoßen war: Ein Balken, breit und massiv, der über den Abgrund hinweg führte. Sie erwartete, dass er nach wenigen Handbreit enden würde, nur ein letzter Stumpf, der ein Stück weit über den Abgrund ragte, aber sie konnte nichts dergleichen ertasten. Wie weit reichte er?
    Eine wahnwitzige Hoffnung glomm plötzlich in ihr auf. Dieser Balken, der offensichtlich Teil einer Stützkonstruktion für die Gewölbe unter ihr gewesen sein musste – wenn er nun nicht irgendwo im Nichts endete, sondern bis zur anderen Seite…
    Und was, wenn er doch endet? Was wenn es keine andere Seite gibt? Was dann?
    Thara musste plötzlich kichern. Sie konnte nicht anders. Was dann? Dann sind wir einfach wieder da, wo wir jetzt auch sind, oder etwa nicht? Sie hatte nichts zu verlieren.

    Der Balken war morsch und glitschig. Breit genug, dass sie auf ihm entlangkriechen konnte, aber nicht so breit, dass es ein Spaziergang gewesen wäre. Ganz im Gegenteil – jede Bewegung, jede Handbreit, die sie sich vorwärts schob, kostete sie eine Menge Kraft, und sobald sie die Plattform gänzlich hinter sich gelassen hatte, überkam Thara zudem ein seltsames Gefühl der Schwerelosigkeit. Sie war sich nicht sicher, ob es gut oder schlecht war, dass sie in der Finsternis nicht erkennen konnte, wie tief es links und rechts von ihr nach unten ging – vor ihrem geistigen Auge klammerte sie sich an einen Strohhalm, der über einen schier bodenlosen Schlund führte.
    Die kalte Luft, die von unten heraufwehte, ließ sie frieren. Ihre Finger und Zehen waren längst taub vor Kälte, was ihr nicht gerade dabei half, sich festzuhalten. Trotzdem bohrte sie mit grimmiger Entschlossenheit ihre Fingernägel in das morsche, aufgeweichte Holz, ignorierte die Splitter, die ihre Haut aufrissen, und zog sich Stück für Stück weiter voran.
    Der Stützbalken knarrte und fing irgendwann an, leicht zu schwanken. Thara biss die Zähne zusammen und ignorierte es. Weiter… nur weiter! Bis zum Ende – auf die eine oder andere Art…

    Thara konnte es kaum fassen, als sie festen Boden ertastete. Der Balken hatte sie tatsächlich über den Abgrund gebracht! Es war ein seltsames Hochgefühl, das sie erfasste, und ihr wurde direkt schwindelig, als sie sich endgültig von dem morschen Holz zog. Sie rollte sich auf den Rücken und blieb eine Weile einfach liegen.
    Ich lebe noch!, stellte sie überrascht fest. Als sie kurz den Atem anhielt, konnte sie das Stöhnen und Krächzen der Pilzwirte vernehmen, aber es war leise, weit entfernt – auf der anderen Seite des Abgrunds, den diese ungelenken Kreaturen sicher nicht überwinden konnten.
    Tharas Euphorie ebbte jedoch bald wieder ab. Sie hatte es vielleicht über den Abgrund geschafft und war diesen furchtbaren Kreaturen entkommen, aber sie saß fest in völliger Finsternis und hatte nicht die geringste Ahnung, wo sie sich befand. Vielleicht hatte sie ein schnelles, selbstbestimmtes Ende doch nur gegen einen langsamen, qualvollen Tod eingetauscht?
    Thara biss die Zähne zusammen und richtete sich mühsam auf. Es hatte keinen Sinn, sich über Dinge Gedanken zu machen, die sie nicht beeinflussen konnte. Ihr blieb nur, ihre nächsten Schritte zu planen.
    Behutsam ertastete sie ihre Umgebung, immer darauf bedacht, nicht durch einen dummen Fehltritt doch noch in die Tiefe zu stürzen. Aber der Abgrund schien endgültig hinter ihr zu liegen. Nach einigen Schritten erreichte sie eine Wand, der sie folgte, bis sie einen steinernen Türstock ertastete. Verschnörkelte Reliefs waren in den Stein gemeißelt, die sich unter ihren prüfenden Fingerspitzen zu winden schienen, als wären sie lebendig – Thara zog schleunigst die Hände weg. Dennoch trat sie durch die Tür. Dahinter lag eine Treppe, und sie führte nach oben!
    Stufe für Stufe schleppte sich Thara die Treppe hoch. Die einzelnen Stufen waren schmal und steil, was den Aufstieg kräftezehrend gestaltete und sie dazu zwang, zahlreiche Pausen einzulegen. Sie hoffte nur, dass diese Treppe nicht ebenso so endlos war wie jene, die sie in das pilzverseuchte Labyrinth geführt hatte. In der vollkommenen Dunkelheit hatte sie keine Möglichkeit, das festzustellen.
    Entsprechend erleichtert war Thara, als die Treppe nach einer gefühlten Ewigkeit doch endete und in einen Gang mündete. Die linke Hand gegen die Wand gepresst, die rechte vor sich ausgestreckt, folgte sie dem Weg.
    Es schien einfach nur geradeaus zu gehen. Keine Abzweigung, keine Biegung – nur ein schnurgerader Gang. Der Boden unter ihren Fußsohlen fühlte sich glatt an, wie die Marmorplatten, die den Fußboden des Kastells bedeckten. Die Wände waren ein wenig rauer, aber das Gestein war eindeutig bearbeitet. Auf der Oberfläche konnte sie jedoch noch immer das schleimige Geflecht des Pilzes fühlen. Sie konnte nur hoffen, dass keine der zombiehaften Pilzwirte in der Finsternis auf sie lauerten. Thara hielt die Ohren gespitzt und lauschte auf den typischen rasselnden Atem, das verschleimte Gurgeln, aber es war totenstill um sie. Die einzigen Geräusche waren ihre eigenen…

    Bis sie plötzlich etwas sah! Thara blinzelte. Sie glaubte zunächst, es müsse sich um ein Trugbild handeln – sie hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, dass ihr Hirn durch die völlige Dunkelheit dazu gebracht wurde, ihr vorzugaukeln, Dinge zu sehen. Dinge, die sich im Augenwinkel zu bewegen schienen, aber fort waren, sobald man den Blick auf sie richtete.
    Das seltsame Schimmern jedoch verschwand nicht. Es war noch ein gutes Stück von ihr entfernt, weiter hinten im Gang, aber es kam näher. Thara blieb stehen und ging in die Hocke, als ob sie sich auf diese Art verstecken könnte, während sie das Phänomen beobachtete. Es war… wie Licht, aber irgendwie auch nicht! Thara hätte keine Worte gehabt, es zu beschreiben, selbst wenn ihr Leben davon abgehangen hätte. Das Beste, was ihr einfiel, war: Dort fehlte die Dunkelheit! Das ergab zwar keinen Sinn, aber anders hätte sie es nicht ausdrücken können.
    Sie machte sich so klein wie möglich, wagte nur flach zu atmen, obwohl die seltsame Erscheinung noch ein gutes Stück entfernt war, und wartete. Es kam nun rasch näher, und bald konnte Thara erkennen, dass jemand sich im Zentrum des Phänomens befand. Ein Mensch. Eine Frau…

    Thara stockte der Atem. Das schwarze Kleid, das sich eng an den Körper schmiegte und dessen weibliche Figur betonte, die langen, leicht gewellten Haare, diese großen, ausdrucksvollen Augen mit elegant geschwungenen Wimpern… sie hätte sie jederzeit und überall wiedererkannt! Arzu! Kein Zweifel – es war Arzu!
    Eine Welle unbeschreiblichen Glücksgefühls überkam Thara. Arzu hatte es geschafft! Sie hatte einen Ausweg aus der Zelle gefunden – natürlich hatte sie das! – und jetzt war sie hier! Hatte Arzu etwa nach ihr gesucht? Hatte sie das wirklich…?
    Thara wäre aufgesprungen und losgerannt, wenn sie noch die Kraft dazu gehabt hätte. So tat sie, was dem am Ehesten nahekam: Sie schlurfte torkelnd auf Arzu zu, streckte die Arme aus und krächzte etwas völlig Unverständliches, was der Name der Varanterin hätte sein sollen. Ihre von Schleim und Dreck völlig verkrusteten Haare hingen ihr in nassen Strähnen ins Gesicht, ihr Kleid war zerfetzt und blutig und ihr von Blutergüssen, Schrammen und Kratzern übersähter Körper schmerzte bei jeder Bewegung, aber sie war so glücklich wie selten zuvor in ihrem Leben, als sie in aus der Dunkelheit in den Kreis von Arzus die Dunkelheit bannendem Zauber trat.

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    Lange nach ihrer Begegnung mit dem Krakenkopf, dachte Arzu immer noch über das fremde Wesen nach. Insbesondere über das unbeschreibliche Gefühl, welches sie durchfuhr, als er sie berührt hatte. Ihr fielen keine Worte ein, um es auch nur ansatzweise zu beschreiben. Ein Bedürfnis erwuchs in der Schwarzmagierin, den Krakenkopf noch einmal zu sehen und mehr zu erfahren. Dabei war sie sich sicher, auch dann wieder mit mehr Fragen als Antworten zurückgelassen zu werden. Wonach könnte es dieser Kreatur verlangen? In bester varantischer Manier dachte Arzu über einen Handel nach, der sie für den Krakenkopf interessant machen könnte. Außer dem offenkundigen Interesse an dem pilzbewachsenen Leichnam, fiel ihr jedoch nichts ein. Viel zu sehr dachte die Schwarzmagierin in menschlichen Dimensionen, das wurde ihr bald klar.
    In Ermangelung von Alternativen begab sich die Varanterin schließlich auf den Rückweg. Wenn es sich tatsächlich um den Rückweg handelte. Zwar ging sie genau den Gang entlang, den sie gekommen war, aber nach kurzer Zeit öffneten sich rechts und links Seitengänge. Das stand gänzlich im Widerspruch zu ihrer Erinnerung; nämlich ein schier endlos langer Gang ohne jegliche Abzweigung. Sie ignorierte bewusst jeden der Seitengänge in der Hoffnung an einer bekannten Stelle herauszukommen.
    Mit dem Schattenfresser über ihrem Haupt, folgte Arzu dem Gang weiter und immer weiter. Inzwischen hatte sie erkannt, wie Olivia verloren gegangen war. Einmal nicht aufgepasst, befand man sich schon in einem völlig anderen Gang. Außer man besaß die beneidenswerte Fähigkeit, durch Wände zu gehen.
    Dann merkte Arzu auf. Abgesehen von ihren eigenen Schritten, hatte sie seit dem Krakenkopf kein anderes Geräusch mehr vernommen. Nun kam plötzlich ein Schlurfen direkt auf sie zu. Mit aller Kraft gab die Schwarzmagierin ihrem experimentellen Zauber soviel Energie sie konnte. Es langte gerade, um einen Steinwurf weit zu sehen. Ganz allmählich zeichneten sich Umrisse ab. Arzus Augen weiteten sich. Das Schlurfen, die gehobenen Hände, das Krächzen und allem voran der abartige Gestank: ein Zombie! Allerdings ein ganz kleiner!
    Es brauchte einen Moment, bevor die Varanterin erkannte, um was es sich tatsächlich handelte. Oder vielmehr um wen.
    "Thara!", rief Arzu voller Überraschung. Ein Krächzen kam als Antwort. Kein Zweifel bestand daran, dass es sich um ihre verschollene Begleiterin handelte. Nur ob sie lebendig oder untot war, ließ sich nicht so einfach erkennen. Ganz besonders der bestialische Gestank ließ Schlimmes vermuten. Ein abscheulicher Gedanke kam Arzu in den Sinn. Hatte das Tentakelmonster Thara verschlungen und in letzter Sekunde wieder ausgespuckt? Viel mehr als Haut und Knochen war Thara nicht und selbst Monster hatten ihre Würde.
    Dann hörte die Varanterin ein Schluchzen und das erste halbwegs verständliche Wort: Entschuldigung. Jetzt bestand für Arzu kein Zweifel mehr, dass es sich um Thara handelte. Eine lebende Thara. Die Schwarzmagierin ging ihrer Gefährtin entgegen, obwohl der penetrante Gestank ihr deutlich zusetzte. Mit aller Kraft tat Arzu ihr bestes, ihren Würgereflex zu unterdrücken.
    »Ich bin so froh, dass du noch am Leben bist!«, sagte die Schwarzmagerin. Ein säuerlicher Geschmack kam ihren schlanken Hals hinauf. Wie sehr sich Arzu nun wünschte, Wassermagierin geworden zu sein.
    Thara machte einen Satz nach vorn und umschlang die Varanterin. Ein Schwindelgefühl machte sich in Arzu breit. Lange könnte sie das nicht aushalten. Dennoch riss sie sich zusammen und klopfte ihrer Zirkelschwester auf den Rücken. Für diesen Moment überwog ihre Freude den Ekel. Nur für diesen Moment. Schließlich nahm Arzu Thara bei den Schultern, drückte sie von sich weg und zwang sich ein Lächeln auf.
    »Wo bist du bloß gewesen? Du riechst... fürchterlich!«, sagte Arzu und schob ihre Begleiterin zur Wand, damit sich das dürre Mädchen dort niederlassen konnte. Sie selbst nahm auf der gegenüberliegenden Seite Platz. Dort war der Gestank zumindest ein winziges Bisschen weniger beißend.

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    Provinzheld Avatar von Thara
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    Thara wandte beschämt den Blick ab, zog die Beine eng an ihren Körper und schlang die Arme um ihre Knie, während Arzu sich auf der anderen Seite des Ganges niederließ. Mit gebührendem Abstand. Die Varanterin hatte sich zwar alle Mühe gegeben, sich den Ekel nicht anmerken zu lassen, aber für Thara war es so offensichtlich gewesen, als wenn Arzu sich bei ihrem Anblick einfach ungeniert übergeben hätte. Ausdrücke von Missbilligung, Wut oder anderen negativen Emotionen bei ihren Mitmenschen zu erkennen, war eine Fähigkeit, die für sie lange Zeit überlebensnotwendig gewesen war, und so entgingen ihr nicht einmal die kleinsten Nuancen, die in eine solche Richtung deuteten.
    „Wo bist du bloß gewesen? Du riechst … fürchterlich!“, fragte Arzu schließlich und lächelte gequält. Ihr war anzusehen, dass sie es bevorzugt hätte, den Abstand noch ein ganzes Stück zu vergrößern. Nur die Enge des Ganges und der beschränkte Radius ihres dunkelheitvertreibenden Zaubers ließen das nicht zu.
    „T-t-tut mir leid…“ Thara spürte, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg. Angesichts dessen, wo sie sich in den letzten Stunden? (Tagen? Wochen?) hindurchgekämpft hatte, musste sie wohl wirklich grauenhaft riechen, nur dass sie selbst den Gestank gar nicht mehr bewusst wahrgenommen hatte. „D-da war d-d-dieses … riesige … T-tentakeldings … u-u-und dann e-eine endlose Treppe, und … und … u-und der Pilz, der …“ Sie deutete auf eines der schwarzen Fäden, sie sich auch in diesem Gang noch an der Wand entlangzogen, wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß als in dem Verließ. „D-der hier! Er … m-macht Menschen z-z-zu … ich w-weiß nicht, fast wie … wie … Zombies, a-a-aber sie leben noch! Ich dachte … ich …“
    So sehr sie es auch versuchte, sie konnte ihre Tränen irgendwann einfach nicht mehr zurückhalten. Zu groß war die Erleichterung. All die Angst, der Stress, die Verzweiflung ihrer einsamen Wanderung durch die Finsternis, verfolgt von unaussprechlichen Monstrositäten und ihren eigenen Traumata, mehr als einmal dem Tod nur um eine Handbreit entgangen…
    Arzu wartete geduldig, bis Tharas hemmungsloses Schluchzen in ein vereinzeltes Schniefen übergegangen war und das Mädchen wieder den Kopf hob. Zögerlich wischte sich Thara eine schleimige Strähne ihres Haares aus dem Gesicht, so dass sie Arzu mit ihrem gesunden Auge ansehen konnte. Ihre Lippen zitterten, als sie versuchte, etwas zu sagen, aber die Worte erst nicht hervorkommen wollten, weil sie die Antwort fürchtete.
    „Du … du … h-hast n-nach mir gesucht?“

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    Entgegen ihrer zuvor aufgestellten Regel, dass sich Thara nicht ununterbrochen entschuldigen sollte, ignorierte Arzu die Marotte ihrer Begleiterin. Sie war einfach froh, Thara halbwegs wohlbehalten wiederzufinden. Schließlich war das überhaupt der Grund gewesen, in die Katakomben hinabzusteigen. Das und die Suche nach der sagenumwobenen Tentakel, die Olivia erwähnt hatte.
    »Ja, natürlich.«, antwortete die Schwarzmagierin. »Du hast mir schließlich das Leben gerettet, als du mich aus der Tentakel befreit hast. Ehrlich gesagt hatte ich schon das Schlimmste befürchtet. Ich bin zusammen mit Olivia hier runter gekommen, um dich zu suchen. Allerdings haben wir uns in den Gängen aus den Augen verloren.«
    Unweigerlich musste die Varanterin an die von Pilzen überwucherte Leiche denken, als Thara von zombieartigen Wesen sprach. Ob dort ein Zusammenhang bestand?
    »Vorher hatten die Goblins uns Meraton vorgeführt und wir sind nur wieder auf freien Fuß gekommen, weil wir versprochen hatten, Vabun für ihn zu suchen. Eine Lüge. Du hast ihn aber nicht zufällig gesehen?«
    Arzu lachte.
    »Egal. Was hältst du davon, wenn wir ins Bad gehen? Ich hing lange genug in diesen Gängen herum.«
    Zwar kannte die Schwarzmagierin aus den Beschreibungen des Kastells das Bad. Ob es allerdings auch in dieser Version zu finden war, wusste sie nicht. Oder in welchem Zustand es sich befand.

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    Sie hat nach mir gesucht! Sie hat wirklich nach mir gesucht!
    Arzus Worte erfüllten Thara mit einem unbeschreiblichen Glücksgefühl. Ihr Herz pochte plötzlich wie wild und sie wusste kaum, wie sie reagieren sollte. Das Leid und die Schmerzen, die sie auf ihrem Weg durch die Katakomben hatte ertragen müssen, schienen ihr auf einmal so fern und unbedeutend und ein geringer Preis dafür, zu wissen, dass Arzu tatsächlich nach ihr gesucht hatte, dass sie in diese unheimlichen Katakomben hinuntergestiegen war, nur wegen ihr! Es war fast zu viel, um es zu glauben!
    „Danke…“, hauchte Thara kaum hörbar und spielte dabei nervös mit ihren Haaren, hinter denen sie sich wieder einmal versteckte, während sie Arzu anhimmelte und ein glückseliges Lächeln ihre Lippen umspielte. Ich bin ihr nicht egal…!

    Arzu war inzwischen aufgestanden und bereit, weiterzugehen. Erwartungsvoll sah sie zu Thara herunter, die sich an der Wand abstützte, um ebenfalls auf die Füße zu kommen. Thara versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie erschöpft sie tatsächlich war – ein hoffnungsloses Unterfangen, allem Hochgefühl zum Trotz. Sie schwankte mehr, als dass sie stand. Trotzdem kam ihr ein unangenehmer Gedanke in den Sinn: „E-ein Bad w-w-wäre toll… A-aber… Was ist m-mit … Olivia? I-ich meine, s-sollten wir nicht … äh … s-s-sie suchen?“

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    Wenngleich die ursprüngliche Reserviertheit gegenüber Olivia inzwischen Vergangenheit war, fand sich Arzu ihr weniger verpflichtet als Thara. Letztere hatte diese Reise nur deshalb unternommen, weil die Schwarzmagierin sie dazu überredet hatte. Zumal Olivia offenkundig mehr als fähig war, in diesem Kastell zu überleben.
    »Ich habe bereits nach ihr gesucht.«, antwortete Arzu. »Die Gänge sind viel zu verworren und ich bin froh, wenn wir hier lebendig herauskommen.« Das ist gerade wichtiger als Olivia, fügte sie in Gedanken hinzu. Im Augenblick mussten sie zuerst auf sich selbst aufpassen.
    »Vielleicht laufen wir ihr ja über den Weg. Komm.«
    Es stellte sich direkt die nächste Frage: welchen Weg sollten sie einschlagen? Für Arzu ergab es wenig Sinn, in die Richtung zu laufen, aus der Thara gekommen war. Obwohl das die Richtung sein müsste, aus der sie selbst ursprünglich kam. Genauso wenig leuchtete es ein, den Weg zu nehmen, aus dem die Varanterin hierherkam. Auch wenn Arzu es nicht laut aussprach, stand fest, dass sie sich hoffnungslos verlaufen hatten.
    »Ich vermute mal, dass diese Pilzzombies gefährlich sind?«, fragte die Varanterin und Thara nickte. »Wir gehen hier entlang.«, sagte sie schließlich und deutete in die Richtung aus der sie selbst zuletzt gekommen war. Zwar stand es im direkten Widerspruch zu ihrem vorherigen Gedanken, doch so fühlte es sich für Arzu zumindest danach an, als hätte sie die Kontrolle noch nicht völlig verloren.

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    Thara schlurfte Arzu hinterher und bemühte sich, innerhalb des ‚Licht‘-Radius dieses seltsamen Zaubers zu bleiben, mit dem die Varanterin die Dunkelheit vertrieb. Was Olivia betraf, hatte Arzu vermutlich recht – die Verrückte kannte sich hier aus und wusste, wie sie überlebte. Immerhin tat sie das schon seit… langer Zeit. Vielleicht hatte sie sich auch absichtlich aus dem Staub gemacht, weil sie der Meinung war, dass die beiden jungen, unerfahrenen Schwarzmagierinnen ein Klotz an ihrem Bein wären? Thara konnte sich das gut vorstellen, und wahrscheinlich traf es ja auch zu. Zumindest auf sie selbst. So oder so, in ihrem Zustand eine Rettungsaktion starten zu wollen, wäre völliger Irrsinn.

    Der Gang schien sich endlos hinzuziehen. Ab und zu kamen sie an einer Abzweigung vorbei und Arzu überlegte jedes Mal kurz, nur um dann mit entschlossener Miene weiter geradeaus zu marschieren. Bis sie irgendwann frustriert stehen blieb.
    „Das gibt es doch nicht! Hier sieht schon wieder alles ganz anders aus!“, fluchte Arzu. Thara zuckte zusammen und zog unwillkürlich den Kopf ein. „Diese Abzweigung hier kenne ich nicht, und an der vorhin bin ich auch noch nie vorbeigekommen, obwohl ich immer geradeaus gegangen bin! Wie soll man aus einem Labyrinth herausfinden, das sich ständig verändert?“
    „Ich w-w-weiß nicht…“, steuerte Thara außerordentlich hilfreich bei. Arzu seufzte.
    „Was solls, gehen wir nach re-AAAAH!“ Die Varanterin schrie plötzlich erschrocken auf und schlug um sich, als würde sie ein gefährliches Insekt verscheuchen wollen.
    „Was ist?“, quiekte Thara und beeilte sich, ihrer Gefährtin zu Hilfe zu kommen. Im ersten Moment wusste sie nicht, was Arzu so erschreckt hatte, aber dann sah sie es auch: Ein Auge – ein einzelnes Auge flog da durch die Luft. Es sah aus, als wäre es gerade frisch aus einer Augenhöhle gerissen worden, der Augapfel war von Schleim und Blut bedeckt und der Sehnerv hing als Anhängsel herunter. Arzu schlug noch immer nach dem widerlichen Ding, das ihr jedoch jedes Mal behände auswich – bis Thara ohne zu zögern nach ihm griff, den Sehnerv zu fassen bekam und das fliegende Organ mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, auf den Boden klatschte.
    Als das Auge mit einem feuchten Flatsch! auf den Marmorfliesen zerplatze, ertönte aus dem nach rechts abzweigenden Gang ein erboster Schrei.
    „Okay, wir gehen wohl doch lieber in die andere Richtung“, stellte Arzu fest, „Schnell!“
    Sie packte Thara an der Hand und zog das Mädchen hinter sich her. Thara gab ihr bestes, das Tempo mitzuhalten, aber es kam, wie es kommen musste – ihre geschwächten Beine versagten den Dienst und sie stolperte über ihre eigenen Füße. Inzwischen hörten sie hinter sich das Geräusch von Schritten, die rasch näherkamen.
    „Steh auf, schnell!“, drängte Arzu.
    „Ich bin z-zu langsam …“ Thara rappelte sich auf, aber alles drehte sich vor ihren Augen und sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Sie krallte sich am Ärmel von Arzus Kleid fest und sah sich panisch um.
    „Also gut“, knurrte Arzu, „Mach dich bereit!“ Sie schob Thara hinter sich, nahm einen entschlossenen Stand ein und ließ eine violette Schattenflamme über ihrer Handfläche erscheinen, gerade als ihr Verfolger aus der Dunkelheit trat…

    „Vabun??“, riefen die beiden Schwarzmagierinnen im Chor.
    „Der einzig Wahre…!“, knurrte Vabun missmutig und rieb sich die geröteten Augen, „War das vorhin wirklich nötig? Das tut scheiß weh, weißt du?“
    „Dieses fliegende Auge kam von dir?“, fragte Arzu und ließ die Schattenflamme wieder verschwinden.
    „Ja, natürlich! Ist dir schonmal aufgefallen, wie lang die Gänge hier unten sind? Die alle zu Fuß abzusuchen wäre hoffnungslos gewesen!“
    „Abzusuchen?“
    „Nach euch!“, rief Vabun, „Ich dachte schon fast, ihr hättet euch völlig aus dem Staub gemacht, das Mondkastell verlassen, Reallife, echte Sozialkontakte, keine Zeit mehr, Inaktivität – der übliche Unsinn eben. Pah… Da hätte ich mir bei euch wohl keine Sorgen machen müssen. Trotzdem – ich hab das ganze Kastell nach euch abgesucht. Aber ihr wart nirgendwo zu finden! Der einzige Ort, den ich noch nicht durchsucht hatte, waren die Katakomben. Warum solltet ihr schließlich hier unten sein? Wisst ihr wahrscheinlich selbst nicht. Aber hier seid ihr … grundgütiger, was stinkt hier eigentlich so? Riecht ihr das auch?“ Vabun verzog das Gesicht, hielt sich die Nase zu und wedelte theatralisch mit der Hand durch die Luft. Thara wäre vor Scham am liebten im Boden versunken.
    „Kennst du denn den Weg nach draußen?“, fragte Arzu, die Bemerkung ignorierend.
    Vabun lachte, als hätte sie einen großartigen Witz gemacht. „Weg nach draußen? Du meinst, durch das Labyrinth? Haha, Mädchen… es gibt keinen! Es sei denn, das Labyrinth will, dass du rauskommst. Dann führt es dich zu einem Ausgang. Aber wenn nicht, dann bleibst du für ewig hier unten. Angeblich gibt es Schwarzmagier, die seit Jahrhunderten oder gar seit Jahrtausenden schon durch diese eintönigen Gänge wandern. Verirrt und allein…“
    Er grinste breit, wogegen Arzu und Thara keineswegs nach Lachen zumute war. Zornesröte schoss der Varanterin ins Gesicht und ihrem Ausdruck nach zu urteilen wollte sie gerade zu einer Schimpftriade ansetzen, aber Vabun hob beschwichtigend die Hand.
    „Ho ho, ganz ruhig! Ich weiß, wie wir hier herauskommen. Wozu bin ich schließlich Magier, eh?“ Er hakte die Daumen an seiner Gardinen-Tunika unter und grinste schelmisch. „Warum laufen, wenn man auch teleportieren kann? Los, reicht mir eure Hände!“

    Zögerlich taten sie, wie ihnen geheißen war. Thara musste sich sehr zusammenreißen, als sich Vabuns Pranke um ihre schmalen Finger schloss wie ein Schraubstock. Ihr Puls schoss augenblicklich in die Höhe und um ein Haar hätte sie sich losgerissen und versucht, davonzulaufen. Ruhig … ich muss ruhig bleiben …
    Thara schloss die Augen und fing an, lautlos zu zählen, um sich selbst zu beruhigen, als plötzlich ein leichtes Kribbeln durch ihren ganzen Körper fuhr. Für einen kurzen Moment kam es ihr vor, als könnte sie überhaupt nichts mehr spüren und sie fühlte sich vollkommen schwerelos – und als sie die Augen wieder öffnete, sah alles um sie herum plötzlich ganz anders aus.
    „Da wären wir“, verkündete Vabun und ließ ihre Hand los. Thara sah sich erstaunt um. Sie befanden sich in der Eingangshalle des Kastells, dort, wo in den Boden das große Pentagramm eingelassen war und wo im ‚echten‘ Kastell die Besucher von einer deutlich weniger mobilen und geschwätzigen Version Vabuns begrüßt wurden.
    „Das ging schnell“, stellte Arzu fest. Vabun zuckte mit den Schultern.
    „Tja, wenn das hier eine Geschichte wäre, könnte man fast glauben, es mit einer besonders lahmen Version eines Deus Ex Machina zu tun zu haben, weil die Autoren sich in eine Sackgasse geschrieben haben, oder besser, in ein endloses, unnavigierbares Labyrinth. Aber wie dem auch sei – viel wichtiger ist, habt ihr das Lichtschwert und die Rune?“
    Thara und Arzu wechselten einen kurzen Blick und schüttelten die Köpfe.
    „Wie bitte?“, rief Vabun, „Mädchen, ihr hattet einen Job!“ Er warf ächzend die Hände in die Luft. „Was ist passiert? Wo sind die Gegenstände?“
    „Ein Typ, also ein Goblin namens Fladnag hat sie! Und wenn du nicht einfach so abgetaucht wärst, um…“, setzte Arzu an, aber Vabun wandte sich ab und hörte ihr offensichtlich gar nicht zu.
    „Fladnag? Verdammt!“ Er schlug sich mit der Faust in die Handfläche. „Dieser Fladnag verfügt über eine mächtige magische Waffe, die tödliches Licht verstrahlt… ich habe es gesehen! Wir müssen vorsichtig sein! Aber vielleicht habe ich eine Idee. Hmm. Ich werde ein paar Vorbereitungen treffen müssen. Und außerdem sollte ich mich nicht zu offen hier blicken lassen, ich glaube, Meraton sucht nach mir. Hier, nehmt das: Der Schlüssel zu Zimmer 1408. Einer der wenigen Räume hier, die noch halbwegs anständig möbliert sind. Wartet dort auf mich – ich hole euch, wenn alles bereit ist. Meratons Tage sind gezählt, das verspreche ich euch! Himmel, was stinkt hier nur so…?“
    Ohne auf eine Erwiderung zu warten, drehte sich Vabun um marschierte zielstrebig davon. Thara blinzelte und schaute dann zu Arzu, die mit zweifelnder Miene den Schlüssel in ihrer Hand wog.
    „W-was nun? S-s-sollen wir tun, w-was er … was er sagt?“
    Geändert von Thara (12.05.2024 um 00:31 Uhr)

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    So plötzlich er auftauchte, so plötzlich verschwand Vabun bereits wieder. Nicht einmal Gelegenheit ihm etwas zu sagen, hatte Arzu bekommen. Sollte er doch in seinen Untergang rennen, dachte sich die Schwarzmagierin und betrachtete den Schlüssel, den der Nichtversteinerte ihnen hinterlassen hatte. Wenn der Raum tatsächlich weniger heruntergekommen als der Rest des Kastells aussah, wäre das in der Tat eine willkommene Überraschung. Arzu würde allerdings nicht ihren Atem dafür anhalten.
    »Komm, wir gehen.«, sagte Arzu und winkte Thara zu. »Bevor uns noch Goblins finden.« Zusammen nahmen die beiden Schwarzmagierinnen eine der Wendeltreppen, die von der Eingangshalle hinauf in den ersten Stock führten. Die Gänge dort lagen verlassen. Keine Kore, keine Goblins, gar nichts. Es fühlte sich fast so an, als ob das Kastell ihnen nach all den Strapazen eine kurze Auszeit gönnte.
    »Teleportation hört sich nach einer wirklich praktischen Sache an.«, sagte Arzu und erntete ein Nicken ihrer Begleiterin. »Und das andere auch. Das mit dem Auge, meine ich. Vielleicht kannst du so ein magisches Auge an Stelle deines blinden einsetzen. Wäre das nicht was?«
    Sie liefen den Gang entlang, von einer Tür zur nächsten. An keiner von ihnen hing ein Türschild, so dass Arzu den Schlüssel an jeder einzelnen ausprobieren musste. Vergeblich, wie sich herausstellte nachdem sie sowohl den linken als auch den rechten Flügel abgegangen waren. Auch im zweiten Stock wurden sie nicht fündig. Ein Stockwerk gab es noch und im Nachhinein ärgerte sich die Varanterin über sich selbst. Natürlich musste sich der Raum im dritten Stock befinden. Das ließ sich von der hohen Nummerierung schließlich ableiten.
    Selbst im dritten hatten die Räume allerdings keine Schilder. Wieso hatte der Schlüssel dann überhaupt eine Nummer? Bevor sich die Schwarzmagierin mehr Gedanken über diesen Unsinn machen konnte, passte der Schlüssel plötzlich an einer Tür. Auch hier kein Schild. Vorsichtig schob Arzu die Tür auf und lugte in den dunklen Raum. Gerade als sie ihren Schattenfresser weiter vor sich hielt, um etwas im Inneren erkennen zu können, entzündeten sich im Zimmer wie von Geisterhand die Lampen. Thara und Arzu wechselten Blicke. Das war doch zu gut, um wahr zu sein! Hätte Vabun sie nicht gerade erst aus den Katakomben gerettet, wären sie diesem Geschenk gegenüber zweifellos misstrauischer gewesen. Doch sie waren beide erschöpft und sehnten sich nach einer Gelegenheit wie dieser.
    Der Raum befand sich in einem tadellosen Zustand. Eine dunkelgrüne Tapete zierte die Wände und rundherum befand sich eine hüfthohe, weiße Vertäfelung. Teppich und Möblierung waren ebenfalls in freundlichen Farbtönen gehalten. Eine Vielzahl von Lampen an den Wänden und auf Kommoden tauchten den Raum in ein warmes, einladendes Licht. Es stand in einem krassen Kontrast zu dem, was sich auf der anderen Seite der Türschwelle befand.
    Entschlossen betrat Arzu den Raum. Nichts passierte. Der Raum blieb so einladend wie er war. Es sprangen auch keine Goblins oder anderen Monster hinter den Möbeln hervor. Das unheimlichste, was passierte, war, dass die Tür hinter Thara und Arzu von allein ins Schloss fiel.
    »Ich will es fast nicht glauben.«, sagte die Schwarzmagierin, als sie eine Runde machte. Zur Linken befand sich ein breiter Durchgang in ein Schlafzimmer mit einem weichen Doppelbett. Von dort aus führte eine Tür in ein geräumiges Badezimmer. Darin befand sich eine große Wanne, bis zum Rand gefüllt mit heißem Wasser.
    »Meinst du, e-e-es ist sicher?«, fragte Thara.
    »Ganz ehrlich, ich weiß es nicht.«, antwortete die Varanterin. »Aber wenn ich draufgehen muss, dann lieber hier drin, als da draußen. Ich nehme jetzt auf jeden Fall ein Bad!«
    Im Schlafzimmer zog sich Arzu das ramponierte Kleid, die Unterwäsche und die hohen Stiefel aus. Besonders das Kleid hatte seit ihrer Abreise aus Stewark leiden müssen. Dabei war es guter varantischer Stoff gewesen und alles andere als günstig. Mit einem Seufzen warf Arzu es über einen Stuhl.
    Im Badezimmer nahm sich die Schwarzmagierin einen Waschlappen aus einem Regal und ging zur Wanne herüber. Sie war groß genug für zwei Personen. Vorsichtig prüfte Arzu die Wassertemperatur. Genau richtig! Ohne noch einen Moment länger zu warten, stieg sie endlich in die Wanne und gab ein lautes Stöhnen von sich.
    »Bei Beliar!«
    Geändert von Arzu (12.05.2024 um 02:35 Uhr)

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    Thara sah sich misstrauisch um. Der Raum war nicht nur vollkommen anders als alles, was sie bisher im Kastell gesehen hatte – im Mondkastell insbesondere – sondern er übertraf bei weitem alles, was sie jemals in ihrem Leben gesehen hatte. Es war ihr fast unvorstellbar, dass man auf so viel Platz und mit solchen Möbeln wohnen konnte! Und dass manche Menschen das für vollkommen selbstverständlich hielten. Wenn sie dabei an die winzige Hütte dachte, in der sie aufgewachsen war …
    Thara folgte Arzu ins Schlafzimmer und ließ ihre Fingerspitzen über die Matratze und die Decken gleiten. Der Stoff fühlte sich unglaublich weich und einladend an! Wenn sie sich auf dieses Bett legte, würde sie wahrscheinlich innerhalb von Augenblicken einschlafen und einfach nie wieder aufwachen. Konnte das wirklich real sein? Und dann noch die Tatsache, dass es im Nebenraum sogar einen Badezuber gab, der bis zum Rand mit heißem Wasser gefüllt war – Thara konnte sich nicht helfen, es schien einfach alles zu gut zu sein. So viel Glück hatte sie nicht, niemals! Es musste eine Falle sein. Aber warum? Und von wem? Vabun? Aber warum sollte er…?
    Arzu hegte offenbar ähnliche Vermutungen, weigerte sich aber, sich davon irre machen zu lassen. Eine der Eigenschaften, die Thara an ihr bewunderte – sie nahm die Dinge einfach, wie sie kamen, und machte das Beste aus der Situation. Und sie hatte ja recht. Was brachte es ihnen, sich stundenlang Sorgen zu machen über Fallen oder Hinterhalte, die es womöglich überhaupt nicht gab? Das Mondkastell war magisch und vollkommen unvorhersehbar. Und wenn es darin so grauenhafte Orte wie das Verließ in den Katakomben gab, wo Menschen von einem höllischen Pilz versklavt wurden, warum sollte es dann nicht auch gute Orte geben, so wie dieses sonderbare Zimmer mit der Nummer 1048?

    „Ich nehme jetzt auf jeden Fall ein Bad!“, verkündete Arzu entschieden und begann, sich aus ihrer Kleidung zu schälen. Das edle schwarze Kleid, das schon bessere Tage gesehen hatte, die hohen Stiefel, schließlich die Unterwäsche...
    Thara stand wie angewurzelt da und konnte nicht anders, als jede einzelne Bewegung der schönen Varanterin zu verfolgen. Ihre Haut schimmerte samtig im Licht der Kerzen und Öllampen, ihr Haar fiel ihr lose über die bloßen Schultern und floss ihren Rücken herunter, umspielte ihre wunderbaren weiblichen Kurven. Arzu gab sich keinerlei Mühe, eine Vorstellung daraus zu machen – wozu auch, sie wollte einfach nur ins Bad! Aber gerade diese Beiläufigkeit, mit der sie sich auszog, verlieh ihr etwas so… authentisches! Sie strahlte dieses mühelose Selbstbewusstsein aus, für das Thara sie so bewunderte. Als Arzu schließlich nackt an ihr verbeispazierte und sich dabei beiläufig die Haare in den Nacken strich, so dass sich ihre Brüste hoben, und sie dabei kurz anlächelte, fühlte Thara eine Hitze in sich aufsteigen, die sie beinahe schwindeln ließ.
    Arzu verschwand im Badezimmer und ließ sich mit einem zufriedenen Seufzer in die Wanne gleiten, während Thara sich noch immer keinen Fingerbreit von der Stelle gerührt hatte. Nervös spielte sie mit ihren Haaren und starrte mit einer Mischung aus Sehnsucht und Angst auf die Tür zum Bad. Sie ist so schön…!
    „Kommst du?“, rief Arzu, „Das Wasser ist herrlich, und du solltest wirklich diesen Geruch loswerden!“
    „Äh … j-j-ja!“, stammelte Thara und gab sich einen Ruck, um sich aus ihrer Starre zu lösen. Umständlich streifte sie ihr Kleid ab, das mittlerweile kaum noch mehr war ein zerfetzter Lumpen, völlig besudelt mit Blut und Schmutz und Dingen, von denen Thara gar nicht wissen wollte, worum es sich dabei eigentlich handelte. Sie überlegte kurz, was sie mit dem Kleid anstellen sollte – es waschen? Dafür würde sie wahrscheinlich Stunden brauchen, und selbst dann war sie sich nicht sicher, ob sie den widerwärtigen Gestank herausschrubben konnte. Was würde Arzu tun?
    Kurzentschlossen ging Thara zu dem Kamin am anderen Ende des Raumes und warf das Kleid in das Feuer, das darin loderte. Mit einem leisen Wuusch! ergriffen die Flammen umgehend Besitz von dem Kleidungsstück, als wäre es in Alkohol oder einer anderen brennbaren Flüssigkeit getränkt.

    Neben dem Kamin stand ein mannshoher, silbergerahmter Spiegel. Thara zögerte einen Moment, trat dann aber einen Schritt näher an den Spiegel. Was sie sah, war… sie seufzte leise und dachte an Arzu – die so weibliche, sanduhrförmige Silhouette ihres Körpers, den Rhythmus ihrer Hüften, wenn sie ging, wie ihre vollen, perfekten Brüste dabei auf und ab wippten. Ihre straffen Schenkel und ihren runden Hintern, die samtweiche Haut mit dieser exotischen, leicht olivfarbenen Tönung, ihre großen, dunklen, ausdrucksvollen Augen und die sinnlichen Lippen, mit denen sie so wunderschön lachen konnte…
    Sie selbst hatte nichts von alldem. Die Gestalt, die Thara aus dem Spiegel entgegenblickte, war blass und kränklich, ihre Haut übersäht mit blauen Flecken, Kratzern und Abschürfungen, den Andenken an ihr letztes Abenteuer – und daneben den zahlreichen Spuren älterer Gewalt. Für einige davon war sie auch selbst verantwortlich. Unter der Haut konnte sie fast jede einzelne Rippe zählen, ihre Schlüsselbeine standen scharfkantig hervor. Sie bezweifelte, dass ihre schmalen Hüften in der Lage wären, ein Kind zur Welt zu bringen, und ihre Brüste füllten kaum ihre eigenen kleinen Hände. Und dann ihr Gesicht… Ihr blindes, milchig-weißes Auge, das geradezu dämonisch zwischen ihrem schwarzen Haar hervorglotzte, egal wie sehr sie versuchte, es zu verstecken. Und nicht einmal ihr Lächeln war hübsch, entblößte es doch eine hässliche schwarze Lücke, wo ihr Vater ihr einst einige Zähne ausgeschlagen hatte.
    Sie schluckte schwer. Bei dem bloßen Gedanken daran, zu Arzu in den Badezuber zu steigen, beschleunigte sich ihr Herzschlag zu einem wilden Galopp und ihre Eingeweide verkrampfen sich. Sie wollte es, sie konnte sich kaum etwas vorstellen, was sie mehr wollte, aber – wie konnte sie? Das wäre beinahe, wie … als würde sie etwas Perfektes beschmutzen…
    „Thara?“, rief Arzu in diesem Moment, „Wo bleibst du denn? Das Wasser ist nicht ewig warm!“

    Thara sah zum Bad und noch einmal in den Spiegel. Dann wanderte ihr Blick zum Kamin, wo die Überreste ihres Kleides inzwischen zu einem Häuflein Asche verbrannt waren. Sie hatte das Kleidungsstück einfach ins Feuer geworfen. Sie hatte eine Entscheidung getroffen – eine unbedeutende Entscheidung vielleicht, aber eine Entscheidung. Sie hatte sich entschieden, sich eher in ein Bettlaken oder eine Gardine zu wickeln, als diese besudelten Lumpen noch einmal anzuziehen. Wie … wie Arzu es getan hätte! Und was würde Arzu jetzt tun? Sie schloss die Augen, atmete einmal tief durch: „Äh… I-ich komme sofort!“

    An der Schwelle zögerte Thara noch einmal kurz, gab sich dann aber einen Ruck und trat ins Bad. Arzu saß im Zuber und hatte sich zurückgelehnt, ihre Arme lagen auf dem Rand, die Augen hielt sie geschlossen. Ihre Brüste ragten ein wenig aus dem Wasser, umrahmt von ihrem schwarzen Haar hoben und senkten sie sich im regelmäßigen Rhythmus ihrer Atmung. Die Brustwarzen hatten sich in der kühlen Luft aufgerichtet und das Licht der Kerzen verlieh ihrer nassen Haut einen goldenen Schimmer.
    Thara musste sich beinahe am Türstock abstützen, als eine Welle unglaublichen Verlangens sie überkam und ihre Beine ihr fast den Dienst versagt hätten. Arzu schlug die Augen auf und lächelte.
    „Da bist du ja endlich!“, stellte sie fest und rutschte ein wenig zur Seite, „Komm rein!“
    Thara nickte nur, unfähig, auch nur ein Wort von sich zu geben. Sie kletterte in den Zuber, und obwohl das Wasser sich im ersten Moment brühheiß anfühlte, ließ sie sich unelegant hineinplumpsen. Dann saß sie da, spielte voller Nervosität mit ihren Haaren und war gefangen zwischen dem Verlangen, Arzu zu betrachten (sie zu berühren!) und der Angst davor, genau das zu tun.
    „Du …“, krächzte sie und stockte.
    Arzu hob die Augenbrauen: „Hm?“
    „D-d-du bist so… wunderschön!“, hauchte Thara und ihr Kopf leuchtete rot wie eine Tomate.
    Geändert von Thara (12.05.2024 um 17:38 Uhr)

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    Ein helles Lachen hallte im Badezimmer wider. Arzu amüsierte sich über die Verlegenheit ihrer Begleiterin. Das dürre Mädchen konnte manchmal so niedlich sein!
    »Ich weiß!«, antwortete die Schwarzmagierin selbstbewusst und tauchte ihren Kopf kurz unter. Nachdem sie wieder hochkam, wusch Arzu ihre langen, schwarzen Haare. Wie ihr Kleid hatte die Reise auch ihre Haare in Mitleidenschaft gezogen. Sie müsste gewiss eine handbreit davon abschneiden. Vielleicht sogar zwei. Eine Vorstellung vor der es Arzu gruselte.
    »Wenn wir wieder auf Argaan sind, müssen wir unbedingt mal nach Stewark. Da gibt es bestimmt ein paar gute Schneider. Mit einem extravaganten Kleid wirst du ganz bestimmt ein paar Köpfe verdrehen!«
    Sie lehnte sich zu Thara herüber und zog eine Strähne aus dem schwarzen Chaos, das ihrer Begleiterin als Frisur diente. Die Haare waren brüchig und matt und völlig verknotet. Natürlich lag das auch an ihrem Abenteuer im Mondkastell, doch das geschulte Auge der Varanterin erkannte mit Leichtigkeit, dass Thara ihre Haare wohl ihr ganzes Leben vernachlässigt hatte.
    »Du musst wirklich mehr auf dich achten, Thara! Dein Körper ist ein Tempel; pflege ihn entsprechend! Ich fürchte, wir müssen dir ganz viel davon abschneiden.«
    Arzu lehnte sich zurück und wusch weiter ihre schwarze Mähne.
    »Da wird selbst ein gutes Haaröl nicht mehr helfen. Am besten gehen wir direkt zu einem Barbier, wenn wir schon in Stewark sind. Eine gute Haarbürste brauchst du auch. Hundert Bürstenstriche jeden Tag! Dann bleibt es auch schön. Hat einmal eine varantische Prinzessin gesagt.«
    Mit den Fingern strich sich die Schwarzmagierin durch ihre eigenen Haare.
    »Nun, meine Bürste liegt leider im anderen Kastell.«, sagte Arzu mit einem Seufzen. Sie lehnte sich wieder zurück und schloss die Augen. Wie sehr sie es vermisst hatte, es sich einfach gut gehen zu lassen.
    »Woher kommen all die Narben?«, fragte Arzu schließlich. Als Thara in die Wanne gestiegen war, ließ es sich nicht übersehen. In Gedanken machte sich die Varanterin bereits eine Notiz, dass sie auch einen Heiler in Stewark aufsuchen mussten. Bestimmt konnten die Wassermagier ihnen dabei helfen.

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    Als Arzu zu lachen anfing, wollte Thara am liebsten im Boden versinken. Warum hatte sie sich nur zu so der Bemerkung hinreißen lassen? Als ob Arzu ausgerechnet sie bräuchte, um ihr zu sagen, wie schön sie war…
    Unter Wasser berührten sich ihre Beine, was Thara fast dazu gebracht hätte, aus dem Zuber zu springen. Nicht, weil sie es ihr unangenehm gewesen wäre, überhaupt nicht – aber allein diese kurze, zufällige Berührung löste ein Gefühl in ihr aus, dem sie keinen Namen geben konnte, das sie aber ganz und gar zu überwältigen drohte. Ihr Herz pochte wie wild, sie biss nervös auf ihrer Unterlippe herum und zupfte weiter an ihren Haaren.
    Arzu erzählte etwas über Stewark – eine Stadt, die Thara bisher nur vom Hörensagen kannte – und sie nickte dann und wann, hörte aber kaum wirklich zu. Bis Arzu sie ermahnte, besser auf ihren Körper zu achten.
    „Dein Körper ist ein Tempel!“, sagte sie und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Thara hob den Kopf und blinzelte. Ein Tempel? Sie sah ihren Körper eher als ein Gefängnis. Etwas, das sie an diese Welt fesselte, etwas, das ihr Schmerzen bereitete, etwas, das andere benutzen und missbrauchen konnten, um ihr Schmerzen zuzufügen und von dem sie sich nicht befreien konnte. Etwas unansehnliches, schwächliches… Und schließlich, wie auch Arzu bemerkte, ein Testament ihrer Leiden.
    Auf Arzus Frage nach ihren Narben antwortete sie nicht sofort. Sie zog die Beine an und rieb nachdenklich etwas Schmutz von ihrem Knie. Sie hatte noch nie mit irgendwem darüber gesprochen…

    „Mein… m-mein Vater“, sagte sie schließlich kaum hörbar. Langsam und stockend begann sie zu erzählen – von ihrer Kindheit im Armenviertel von Thorniara, der Isolation und der ständigen Gewalt durch ihren Vater, der sie spätestens nach dem spurlosen Verschwinden ihrer Mutter gänzlich ausgeliefert war. Von dem Missbrauch, von dem sie nicht einmal mehr sagen konnte, wann er eigentlich begonnen hatte – als wäre er einfach schon immer Teil ihres Lebens gewesen. Wie er sie nach Lust und Laune benutzte und wegwarf, wenn er genug von ihr hatte...
    Thara wusste nicht, wann sie während ihrer Erzählung zu weinen begonnen hatte. Aber sie erzählte weiter. Es tat weh, aber es tat so gut, dass Arzu ihr zuhörte. Dass sie jemandem nicht einfach egal war! Also erzählte sie. Von den fortgesetzten Quälereien, die sie später im Waisenhaus hatte erdulden müssen, sowohl durch die anderen Kinder, als auch durch die Ammen, und schließlich von ihrem Verkauf an den Fischhändler, der sich als kaum weniger brutal erwiesen hatte als ihr leiblicher Vater. Sie endete damit, wie sie sich endlich aus dieser Hölle hatte befreien können und ihren Weg ins Kastell gefunden hatte.
    „Tja, jetzt … b-bin ich hier!“, schloss sie unbeholfen und versuchte ein Lächeln. Hier, bei dir…
    Geändert von Thara (12.05.2024 um 19:58 Uhr)

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